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Das Wirtschaftsmagazin

Kanonen oder Butter? Die Schulden fürs Militär gefährden den Sozialstaat

Durch Ausgaben und Schulden für die Aufrüstung fehlt das Geld an anderer Stelle. Kürzungen bei Sozialem dürfen nicht die Lösung sein.

7 Minuten Lesedauer

Die Schulden für Verteidigung werden zur Belastung für den Haushalt. Credit: IMAGO/Mike Schmidt

Im September berät das Parlament den schwarz-roten Haushalt. Die Volksvertreter entscheiden darüber, wie viel Geld die Regierung wofür ausgeben darf. Damit bestimmt der Bundestag die Richtung der Regierungspolitik. Denn die Zukunft des Sozialstaats, der Landesverteidigung, der Infrastruktur und des Klimaschutzes ist abhängig von der Kassenlage.

Die Merz-Regierung will nächstes Jahr rund 520 Mrd. Euro ausgeben. In den nächsten vier Jahren sollen die Staatsausgaben um über 50 Mrd. Euro steigen. Die Mehrausgaben fließen überwiegend in Verteidigung und Infrastruktur, die Große Koalition vervierfacht den Verteidigungshaushalt bis 2029 auf 153 Mrd. Euro. Vor zehn Jahren spendierten Merkel und von der Leyen dem Militär nur schlappe 38 Mrd. Euro. Zudem möchte Lars Klingbeil jährlich rund 120 Mrd. Euro in Straßen, Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Wohnen und Internet investieren – ein neuer Rekord.

Der oberste Schatzmeister der Nation finanziert die höheren Staatsausgaben auf Pump: Die Steuereinnahmen können die Mehrausgaben nicht decken. Im Gegenteil: Die schwarz-rote Regierung machte den Unternehmen milliardenschwere Steuergeschenke – der sogenannte »Wachstumsbooster« – und schwächte damit die staatliche Einnahmeseite. Trotz Klingbeils XXL-Schulden kalkuliert sein Ministerium bis 2029 mit einem 172 Mrd. Euro großen Haushaltsloch.

Wie die Regierung dieses Loch stopfen will, ist in der Koalition umstritten. Der rote Finanzminister hofft auf Wachstum, mehr Jobs und sprudelnde Steuerquellen. Darüber hinaus will er Superreiche stärker besteuern. Merz, Reiche, Linnemann und Co. wollen lieber Sozialleistungen – Bürgergeld, Wohngeld, Flüchtlingshilfe, et cetera – kürzen. Steuererhöhungen schließen sie hingegen kategorisch aus. 

Damit ist klar, wohin die Reise geht: Da die Unionsparteien die Reichen vor höheren Steuern schützen, hilft der Großen Koalition nur noch ein starker wirtschaftlicher Aufschwung. Wenn die Konjunktur aber nicht anspringt, muss der selbst ernannte Investitionsminister zum Sparkommissar umschulen. 

Das wäre Gift für die Partei der Arbeit und sozialen Gerechtigkeit. Klingbeil und Pistorius haben noch unlängst Kanonen und Butter versprochen: Wiederholt beteuerten sie, dass steigende Rüstungsausgaben nicht zulasten des Sozialstaats und des Klimaschutzes gehen werden. 

Das hätte ganz in der Tradition von US-Präsident Lyndon B. Johnson stehen können. Der Kennedy-Nachfolger erhöhte während des Vietnamkrieges die Militärausgaben und bekämpfte gleichzeitig die Armut mit den Great-Society-Programmen. Johnson lieferte »guns and butter«. Doch Geschichte wiederholt sich nicht. Und falls doch, dann nur als Tragödie oder Farce.

Aufrüstung auf Pump

Der Angriff Putins auf die Ukraine setzte eine weltweite Aufrüstungsspirale in Gang. Berlin ließ über Bundeswehr und Waffenschmieden Geld regnen. Deutschland hat inzwischen das weltweit viertgrößte Verteidigungsbudget. Doch es soll noch mehr werden – oder in den Worten von Friedrich Merz: »Whatever it takes.«

Friedrich Merz hat auf dem letzten Nato-Gipfel zugesagt, ab 2035 fünf Prozent des Bruttosozialprodukts – davon 3,5 Prozent direkt und 1,5 Prozent als militärisch relevante Infrastruktur – für das Militär springen zu lassen. Dies entspricht jährlich 215 Milliarden Euro – mehr als wir heute für Arbeit und Soziales ausgeben. Dieses Geld soll in Luftverteidigung, Luft- und Raumfahrt, Fregatten, U-Boote, gepanzerte Fahrzeuge und Munition, aber auch in militärisch (sowie zivil) relevante Infrastruktur fließen. Die olivgrüne Shoppingtour bezahlt Schwarz-Rot mit der Kreditkarte.

Die Große Koalition kann jetzt alle Militärausgaben über ein Prozent des BIP auf Pump finanzieren. Nachdem das Parlament die Verfassung geändert hat, hat das Militär keinen Stress mehr mit der Schuldenbremse. Eine detaillierte Bedarfsplanung für das neue Kriegsspielzeug fehlt jedoch bislang. 

Die zusätzlichen kreditfinanzierten Militärausgaben könnten sich in den nächsten 10 Jahren auf 1,5 Billionen Euro summieren. Ferner erhält die heimische Armee 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Bundeswehr.

Zusätzlich ermöglicht ein 500 Milliarden Euro schwerer Infrastrukturfonds Investitionen in die physische und soziale Infrastruktur. Auch diese Investitionen können in Form panzergerechter Brücken und Straßen, Militärkliniken sowie Katastrophenschutz einer militärischen Logik folgen. 

Aus finanzpolitischer Sicht sind Militär- und Infrastrukturausgaben auf Schuldenbasis für unsere Republik ein Paradigmenwechsel: Jahrzehntelang galten Schulden als Teufelszeug. Nun können Merz und Klingbeil mit der Kreditkarte verhindern, dass harte Verteilungskämpfe die Aufrüstungsanstrengungen gefährden. Denn höhere Steuern in der Breite oder Rentenkürzungen für neue Panzer und Kampfflieger wären äußerst unpopulär.

Wachstum durch Aufrüstung?

Aktuell streitet die ökonomische Zunft darüber, wie sich steigende Militärausgaben auf die Konjunktur auswirken. Schafft der neue Rüstungskeynesianismus ein olivgrünes Wirtschaftswunder? 

Militärausgaben sind keine Investitionen, die später Erträge abwerfen, Rüstungsgüter sind totes Kapital. Aus ökonomischer Sicht sind Militärausgaben lediglich staatlicher Konsum. Diese unproduktiven Ausgaben ziehen zudem Ressourcen – Fachkräfte, Kapital, Boden – aus produktiven Bereichen ab. Dennoch können Militärausgaben die Wirtschaft kurzfristig ankurbeln. Dafür müssen die neuen Waffen bei heimischen Rüstungsschmieden bestellt und produziert werden.

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Dierk Hirschel

Dierk Hirschel ist ver.di-Chefökonom.

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Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

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