An einer Schranke am Schwarzen Meer stehen vier Lkw und warten. Schwere Steine türmen sich hinter den Fahrerhäuschen. Die Fahrer lungern am Straßenrand, lachen laut und rauchen viel. Da, wo sich jetzt eine mehrere Fußballfelder große Baustelle befindet, soll in den kommenden Jahren ein Tiefseehafen entstehen. An den Steinen, die heute noch auf den Lkw liegen, sollen bald die Bugwellen einfahrender Containerschiffe brechen.
Die Lkw-Fahrer starten die dumpf brummenden Motoren, passieren die Schranke und verschwinden einer nach dem anderen hinter einem riesigen, grauschwarzen Sandberg.
Der Hafen von Anaklia, Georgiens erster Tiefseehafen, soll die Kaukasusrepublik zum zentralen Umschlagplatz auf der Handelsroute zwischen Asien und Europa machen. Im Vergleich zur nördlichen Route durch das kriegstreibende Russland und der südlichen durch den Suezkanal gilt der sogenannte Mittelkorridor, der Handelsweg durch das Kaspische und das Schwarze Meer, als kürzer, schneller und sicherer. Das Handelsvolumen entlang dieser Route könnte sich bis 2030 verdreifachen und auf zehn Millionen Tonnen jährlich steigen, schätzt die Weltbank.
Ost oder West?
Wer die Route durchs Schwarze Meer beherrscht, beherrscht eine der wichtigsten Achsen der Globalisierung – den Handelsweg zwischen Europa und Asien. Anaklia ist so etwas wie ihr Flaschenhals.
Samegrelo, die Region im Nordwesten Georgiens, in der Anaklia zwischen Sümpfen, Schwarzem Meer und der von Russland kontrollierten Provinz Abchasien eingequetscht ist, ist eine der ärmsten des Landes. Die Menschen leben von der Landwirtschaft und Gelegenheitsjobs. Wer jung ist, zieht in die Hauptstadt nach Tbilisi oder gleich ins Ausland. Das durchschnittliche Monatseinkommen im Land liegt heute bei rund 700 Euro.
Wäre alles so gelaufen, wie es nach der ersten Ausschreibung des Hafens begann, würden heute bereits Containerschiffe festmachen, und nicht erst Wellenbrecher gebaut. 2016 hatte ein Konsortium aus US-amerikanischen, georgischen und europäischen Investoren ein chinesisches Angebot ausgestochen.
Der Hafenbau begann – und endete abrupt, wurde kurze Zeit später erneut ausgeschrieben. Der Grund: Das politische Klima im Land hatte sich gewandelt. Und die Frage, wer diesen Hafen baut, wurde zur wirtschaftlichen und geopolitischen Grundsatzentscheidung für Georgien: Ost oder West? China oder USA?
Anaklia sollte das größte Infrastrukturprojekt des Landes werden
Fünf Autostunden von Anaklia entfernt sitzt Mamuka Khazaradze in einem Tbilisser Café und schimpft. »Bastards« verflucht Khazaradze den »Georgischen Traum«, die Regierungspartei, die von dem Oligarchen Bidzina Iwanischwili gelenkt wird. Khazaradze sei voller Energie, diese »Verräter« zu bekämpfen.
Khazaradze, 58 Jahre alt, ist Oppositionspolitiker der Partei LELO und einer der reichsten Männer Georgiens. Zu Geld kam er mit seiner Bank TBC, bis heute die größte in Georgien. »Lass uns in Georgien etwas Großes erschaffen«, habe ihm ein amerikanischer Kommilitone aus Harvard gesagt, als er Khazaradze vor mehr als zwei Jahrzehnten besuchte. Er war es, der 2016 mit dem Anaklia Development Consortium (ADC) die Ausschreibung um den Hafenbau gewann. Anaklia hätte ein »Gamechanger« sein sollen. 2,5 Milliarden US-Dollar Investitionskosten, 10.000 Arbeitsplätze. Khazaradze hatte sich zum Ziel gesetzt, internationale Unternehmen anzusiedeln und eine Hafenstadt zu erbauen: Anaklia-City.
Der Staat sollte den Hafen auf 49 Jahre leasen und anschließend übernehmen. Anaklia wäre somit das größte Infrastrukturprojekt des Landes. Der Hafen, unter amerikanischen, europäischen und georgischen Bauherren, sollte Georgien unabhängiger von Russland machen. Stattdessen trat das Gegenteil ein.
Khazaradze rührt in seiner heißen Schokolade, aus der Ferne ist Kinderlachen zu hören. Das Café, in dem das Gespräch stattfindet, liegt in einem Naherholungsgebiet. Karussells für die Kinder, Cafés für die Erwachsenen und ein See für alle. Khazaradze geht regelmäßig am See spazieren, er wohnt nicht weit, sagt er. Einer seiner Firmen gehört das Gelände. Er gründete die private Eliteschule nebenan. Die Wassermarke Borjomi auf dem Tisch vor Khazaradze gehörte ursprünglich einmal ihm. Mamuka Khazaradze besitzt so gut wie alles, was man mit Geld kaufen kann. Nur das, wofür er am meisten in seinem Leben brennt, konnte er sich nicht erfüllen: den Hafen der Träume, der für Wohlstand in ganz Georgien sorgen sollte..
