Wie verändert sich die Weltwirtschaft, wenn wirtschaftliche Beziehungen zunehmend durch das strategische Kalkül von Staaten und multinationalen Unternehmen bestimmt werden? Der Politikwissenschaftler Milan Babić nennt diesen Wandel »Geoökonomie«. In seinem Buch analysiert er, wie sich die globalen Verflechtungen, Machtverhältnisse und politischen Strategien seit dem Ende der neoliberalen Hochphase transformiert haben – und welche Folgen dies für Demokratie, Klimapolitik und sozialen Zusammenhalt hat. In einem ausführlichen Gespräch diskutierten wir, wie diese neue Weltordnung aussieht, wo sie herkommt und was progressive Politik dem entgegensetzen kann.
Milan, in Deinem Buch beschreibst Du die Geoökonomie als neue »Anatomie der Weltordnung«. Was genau verstehst Du darunter?
Geoökonomie bedeutet, dass wirtschaftliche Beziehungen zunehmend strategisch aufgeladen sind. Staaten, aber auch große Unternehmen, agieren nicht mehr nur im Rahmen eines globalisierten Marktes, sondern setzen wirtschaftliche Macht gezielt zur Durchsetzung politischer Interessen ein. Lieferketten werden regionalisiert, Investitionen sicherheits- oder klimabezogen umgesteuert, Handelsbeziehungen selektiv gestaltet. Gleichzeitig transformiert sich die Rolle des Staates: weg vom reinen Wettbewerbsstaat der 1990er und 2000er Jahre, hin zu einem Akteur, der verstärkt seine macht- und geopolitischen Motive verfolgt.
Das klingt nach dem Ende der neoliberalen Globalisierung, aber auch nach einem Rückgriff auf alte Muster: Staat, Macht, Interessenpolitik.
Genau, es ist kein Bruch, sondern eine Transformation. Viele der Instrumente, mit denen heute Geoökonomie betrieben wird, wie beispielsweise Sanktionen, Standards oder Handelsverträge, wurden im Rahmen der neoliberalen Globalisierung entwickelt. Letztere wurde damit eine Voraussetzung für die geoökonomische Ordnung. Zugleich sehen wir auch gewisse Kontinuitäten, wie die Intensivierung der internationalen Handelsbeziehungen in bestimmten Bereichen. Die globale Ordnung, wie wir sie kennen, ist also nicht verschwunden. Sie wird anders genutzt. Es geht nicht um weniger Verflechtung, sondern um selektivere, strategischere Verflechtung.
Du sprichst vom »Primat der Politik«. Aber wenn man sich in Deutschland umschaut, erlebt man vielerorts eher eine Rückkehr zu alten neoliberalen Reflexen. Kürzungen, Austerität, Schuldenbremse...
Das muss kein Widerspruch sein. Wir dürfen nicht vergessen: Neoliberalismus bedeutet nicht die Abwesenheit des Staates. Ganz im Gegenteil: Der neoliberale Staat war ein starker Staat, nur mit anderen Zielen. Es ging nicht um Gestaltung im demokratischen Sinne, sondern um die Sicherung von Marktlogiken, Deregulierung und Standortkonkurrenz. Das wurde teilweise mit autoritären Mitteln durchgesetzt, denken wir an Hartz IV oder die Eurokrise. Was wir heute sehen, ist ein Wandel dieses Staatsverständnisses: nicht mehr Rückzug des Staates, sondern eine Re-Politisierung ökonomischer Fragen. Das ist es, was ich als das »Primat der Politik« bezeichne, auch wenn es nicht automatisch eine progressive Politik bedeutet.