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Argentinien: Mileis Kettensäge versagt

Milei hat die Wirtschaft Argentiniens nicht gerettet. Das Scheitern der libertären Agenda war nur eine Frage der Zeit.

7 Minuten Lesedauer

Javier Milei ist bekannt für seinen libertären Kurs. Credit: IMAGO/NurPhoto

Javier Milei hat die Kettensäge zum Markenzeichen seiner Politik gemacht. Doch das Gerät, das in den Augen seiner Bewunderer den vermeintlich verkrusteten argentinischen Staat zerteilen sollte, stottert bereits unüberhörbar laut. Nun greift der Staat offen in die Märkte ein, um die Währung zu stabilisieren.

Die dramatischen Entwicklungen in diesen Tagen waren absehbar, aber die wirtschaftsliberale Presse und Ökonomen wurden dennoch überrascht. Die Erzählung der hiesigen Fangemeinde von Milei lautete schließlich ungefähr so: Dank harter Ausgabenkürzungen, Deregulierung und einem strengen Anker gegen die Inflation würde Argentinien rasch wieder Tritt fassen. Deutschland sollte sich davon etwas abschauen.

Nun lassen die Märkte den heillos überbewerteten Peso abschmieren und die USA greifen ihrem Freund Milei  kurz vor den nationalen Kongresswahlen Ende Oktober 2025 unter die Arme – nach der Intervention beim IWF im Frühjahr 2025 bereits zum zweiten Mal. Der Finanzminister der USA, Scott Bessent, erwog diverse Möglichkeiten um zu intervenieren, zum Beispiel direkte Devisenkäufe (also die Nutzung von US-Dollarn zum Ankauf von argentinischen Pesos), Swap-Lines (Vereinbarungen zwischen Zentralbanken, bei denen US-Dollar kurzfristig bereitgestellt werden, um die Stabilität der argentinischen Währung zu sichern) oder den Ankauf von argentinischen US-Dollar-Anleihen durch einen Fonds des Finanzministeriums. Ohne die Interventionen der USA – die den meisten Ländern bei Währungskrisen nicht zur Verfügung stehen, da Eingriffe in »die Märkte« aus ideologischen Gründen abgelehnt werden – wäre Milei längst erledigt.

Was ist passiert?

Der Milei-Hype der globalen Rechten, der auch bei vielen bürgerlich-konservativen Kräften Anklang findet, scheitert an der Realität. Die Wachstumsprognosen waren angesichts der makroökonomischen Bedingungen viel zu optimistisch. Ohne die rosarote Brille, mit der in der westlichen Medienlandschaft über Mileis Wirtschaftspolitik berichtet worden war, war bereits Ende 2024 absehbar, dass keineswegs von einem Erfolg die Rede sein konnte.  

Es ließ sich kein selbsttragender Aufschwung erkennen – auch im Laufe des Jahres 2025 nicht. Die Industrieproduktion fiel 2024 tief, erholte sich nur begrenzt und stagniert deutlich unter dem Niveau der Jahre 2021 und 2022. Auch der Arbeitsmarkt trübte sich ein: Nach kurzzeitigem Jubel über 6,4 Prozent Ende 2024 sprang die Arbeitslosenquote im ersten Quartal 2025 auf 7,9 Prozent – der höchste Wert seit der Pandemie. Zählt man Unterbeschäftigung und stille Reserve, ist rund ein Drittel der Erwerbstätigen betroffen. 

Die Preisdynamik hat sich zwar abgeschwächt, aber zu einem sehr hohen Preis: Durch den massiven Anstieg der Inflation auf 220 Prozent im Jahr 2024, der eine direkte Folge Mileis Politik war, stieg nicht nur die Verarmung in der Bevölkerung an, sondern Argentinien verlor massiv an Wettbewerbsfähigkeit, da die nominale Abwertung der Währung die hohen Preissteigerungsraten nicht wettmachen konnte. Erst seit einem halben Jahr wertet die argentinische Währung real wieder ab – allerdings bleibt der reale Wechselkurs deutlich über den Werten zu Mileis Amtsantritt. Er signalisiert damit immer noch eine Überbewertung, die die Wettbewerbsfähigkeit der argentinischen Wirtschaft zerfrisst, die Importneigung in die Höhe treibt und bei einer radikalen Anpassung wieder den Teufelskreislauf von Abwertung und Inflation in Gang setzen wird. Die Kettensäge wird auf diese Weise wieder zum Inflationstreiber.

Wo ist die liberale Euphorie?

Die hiesigen Milei-Anhänger bauten ihre Hoffnungen auf selektive Lichtblicke, die zwar keine Rückschlüsse auf die gesamtwirtschaftliche Lage zuließen, aber zumindest temporär Mileis Kettensäge als Erfolg verkaufen konnten. Bei der Inflation beispielsweise verwiesen die Unterstützer von Milei vor allem auf Verlaufszahlen (von Monat zu Monat), nicht die Jahresvergleiche. Im Jahresvergleich lag die Inflation bei 220 Prozent und war ein direktes Ergebnis der drastischen Kürzungen Mileis. Im Verlauf nahm die Inflation – wie übrigens überall auf der Welt – ab, was angesichts sinkenden Lohnwachstums, einer schwachen wirtschaftlichen Dynamik und der enorm hohen Inflationsraten zu Beginn der Amtszeit auch kein Wunder war.

Auch beim BIP gingen die Milei-Bewunderer selektiv vor: Bei dem starken Wachstum für das erste und zweite Quartal 2025 (von jeweils 5,8 beziehungsweise 6,3 Prozent) übergingen sie geflissentlich die Basiseffekte – also den Umstand, dass die Zahlen so hoch wirken, weil das BIP 2024 zuvor extrem eingebrochen war. Und an dieser Stelle wurden auch die Verlaufszahlen, die davor bei der Inflation so gerne genutzt worden waren, plötzlich wieder irrelevant: saisonbereinigt zeigt sich im zweiten Quartal 2025 nämlich ein leichter Rückgang des BIP von 0,1 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. Der Aufschwung ist unter Druck geraten, bevor er überhaupt einsetzen konnte.

Den liberalen Journalisten und Politikern bleibt damit noch der Verweis auf einen ausgeglichenen Haushalt als Selbstzweck und eine vage Hoffnung auf die Prognosen, die sich mehr und mehr eintrüben. Vor allem stellt sich nämlich die grundsätzliche Frage, welche Impulse das Wachstum erzeugen soll, das die Prognostiker, Journalisten und Ökonomen herbeiphantasieren. Die Haushalte sind verarmt und verunsichert – trotz des Rückgangs der Inflation auf zwischen 30 und 40 Prozent. Der Staat bleibt bei seinem Sparkurs, für den er gelobt (und durch den Internationalen Währungsfonds auch verpflichtet) wird. Die Zentralbank wird durch den jüngst verstärkten Abwertungsdruck auf die argentinische Währung nicht beziehungsweise nur sehr begrenzt mit Zinssenkungen auf die wirtschaftliche Schwäche reagieren können. Das Ausland wird ebenfalls keinen Exportboom in Argentinien auslösen, da die reale Überbewertung das Land extrem teuer macht. Und wieso die Unternehmen bei derartigen Unsicherheiten und der Nachfrageschwäche in eine Investitionsoffensive gehen sollten, weil es möglicherweise durch die Kettensäge »weniger Bürokratie« gibt, bleibt ebenfalls fraglich.

Die Korruption erreicht neue, altbekannte Dimensionen

Ein weiterer Rückschlag für die liberal-konservative Fangemeinde von Milei ist die Korruption, die in seiner Regierung eine neue Blütezeit erlebt. Ist Korruption doch einer der wichtigsten Gründe für den Hass auf den Staat unter Libertären, muss man nun feststellen, dass vermeintlich libertäre Politiker in Sachen Korruption wahre Meister ihres Fachs sind.

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Patrick Kaczmarczyk

Dr. Patrick Kaczmarczyk ist Ökonom an der Universität Mannheim und Redakteur bei Surplus. Zuletzt war er Leiter für volkswirtschaftliche Grundsatzfragen beim Wirtschaftsforum der SPD und UNO-Berater.

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

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