Nach monatelangem Warten ist es da: das Energiewendemonitoring der Bundesregierung. Das beim Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln und BET Consulting in Auftrag gegebene Papier wurde mit Spannung erwartet. Dass der Bericht im politischen Berlin und der Energiebranche für Aufregung sorgt, liegt weniger am konkreten Inhalt der Studie, sondern an dem politischen Kurswechsel in der Energie- und Klimapolitik, den Wirtschafts- und Energieministerin Katharina Reiche mit dem Monitoring in Verbindung gebracht hat.
Den gesamten Sommer über machte Reiche keinen Hehl daraus, dass dem Energieministerium unter ihrer Führung die Energiewende zu schnell geht. Seit ihrem Amtsantritt hat sie keine Gelegenheit ausgelassen, um Stimmung gegen den aktuellen Kurs der Energiewende zu machen: Zu schnell und zu teuer seien die bestehenden Pläne. Unterstützung bekam sie dabei von Kanzler Merz, der Reiches Energiewende-Wende schon Tage vor dem Erscheinen des Monitorings mit Aussagen zum Ausbautempo der Erneuerbaren unterstützte. Nach vielen Monaten, in denen der energiepolitische Kurs der Bundesregierung zahlreiche Schlagzeilen und Koalitionsstreit produzierte, liegt jener Bericht vor, der anscheinend in Auftrag gegeben wurde, um sich selbst einen guten Anlass für den Kurswechsel im Großprojekt Klimatransformation zu produzieren.
Nach erster Lektüre des Monitorings wird klar: Der Inhalt ist wenig überraschend und gar nicht so kontrovers, sondern vor allem eine Zusammenfassung bestehender Forschung – keine eigenen Modellierungen oder Berechnungen durch die Auftragnehmerinnen und -nehmer. Der Umstand, dass diese teure Literaturanalyse, angereichert durch einige Interviews, eigentlich gar nicht die maßgeschneiderten Argumente für den neuen Kurs im Wirtschaftsministerium liefert, ist für die Ministerin auch kein Problem.
Denn der politische Kurwechsel, der jetzt mittels eines 10-Punkte-Plans aus dem Monitoring abgeleitet werden soll, orientiert sich eher lose an den Studieninhalten. Während die zentrale Aussage des Monitorings eher ein »Kurs halten mit einigen Nachbesserungen« ist, sprechen die Ableitungen aus Reiches Ministerium eine andere Sprache. Das wird nicht nur die Energie- und Klimapolitik vor massive Herausforderungen stellen, sondern auch zu neuen Konflikten in der großen Koalition führen.
Die neue Debatte um die Stromprognose als Kampf um die Energiewende
Das Gutachten liefert maßgeblich drei zentrale Aussagen. Erstens sei der Ausbau der Erneuerbaren gemäß der (wenig ambitionierten) Klimaziele grundsätzlich auf Kurs. Zweitens steigen die Kosten durch die aktuelle Ausgestaltung des Förder- und Subventionsregimes und dies biete Potenziale für mehr Kosteneffizienz. Drittens – und das scheint Kern für die politische Strategie von Reiche zu sein – steige der Strombedarf durch Erneuerbaren-Ausbau und Elektrifizierung weniger stark an, als einzelne normative Studien in den vergangenen Jahren prognostizierten. Zum Kontext: Für das Gelingen der Klimatransformation muss der Primärenergieverbrauch weitreichend elektrifiziert werden – weniger Öl und Gas, mehr Wärmepumpe, Züge und E-Auto. Diese notwendige Elektrifizierung treibt den Stromverbrauch absehbar merkbar in die Höhe.
Anders als jedoch eine Reihe deutscher Medien schreiben, gehen die Autorinnen und Autoren von Reiches Gutachten nicht einfach davon aus, dass der geplante Stromverbrauch von 600 bis 700 Terawattstunden im Jahr 2030 nicht erreicht wird, sondern weisen darauf hin, dass diese Spanne des Strombedarfs angesichts der aktuellen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen wahrscheinlicher geworden ist. Die Autorinnen und Autoren weisen aber auch darauf hin, dass dies maßgeblich von der Stromnachfrage in den Bereichen Wasserstoffhochlauf, Wärmewende und Verkehrswende abhängt. Das Scheitern der Energiewende im Bereich Wärme, Industriedekarbonisierung und Verkehr führt zu weniger Strombedarf durch Elektrifizierung. Mit dem Zauberwort, oder eher dem zukünftigen Kampfbegriff »Planungsrealismus« ist das für Reiche die Grundlage, um die Energiewende auszubremsen und die Ausbauziele an das eigene klimapolitische Scheitern anzupassen: ein Realismus der eigenen politischen Fehlplanung.
»Planungsrealismus« für eine fragwürdige Kraftwerksstrategie
Die verordnete Ambitionslosigkeit beim Ausbautempo der Erneuerbaren Energien fügt sich in eine Energiepolitik des Bremsens und Zögerns in der neuen Führung des Wirtschaftsministeriums ein. Nachdem die Stromsteuer nur für das produzierende Gewerbe gesenkt wurde und die Gasspeicherumlage in den Klimatransformationsfonds geschoben wurde, erregte Reiche zuletzt Aufsehen, indem sie ein noch umfassenderes Gaskraftwerk-Bauprogramm ankündigte, als ohnehin schon unter der Ampel geplant war.
Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung sieht eine (zusätzliche) Kapazitätsreserve fossiler Kraftwerke vor. In Bezug auf die Kapazitätsreserve ist zwar richtig, dass es auch langfristig in einem klimaneutralen Stromsystem Backup-Kapazitäten für die wenigen Wochen im Jahr braucht, in denen weder Sonne noch Wind ausreichend Energie liefern (»Dunkelflaute«). Expertinnen und Experten sind sich weitgehend einig, dass dafür einige mit grünem Wasserstoff betriebene Kraftwerke nötig sind. Der Plan der Bundesregierung orientiert sich jedoch nicht an den langfristigen Bedarfen eines dekarbonisierten Stromsektors, der so schnell wie möglich erreicht werden sollte. Im Gegenteil sollen von den 20 GW durch zusätzliche Gaskraftwerke nur 7,5 GW für den Betrieb durch Wasserstoff bereitstehen. Bei einer Baudauer von vier bis sechs Jahren und einer Betriebszeit von 20 bis 25 Jahren, wird damit faktisch das politische Ziel einer vollständigen Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2035 aufgegeben. Ein fossiler Lock-In-Effekt oder das massenhafte Abschreiben auf relativ neue Gaskraftwerke werden die Folgen dieser Strategie sein.