Der Vorhang zu und alle Fragen offen: So lässt sich der aktuelle Stand der Wehrpflichtdebatte zusammenfassen. Fürs Erste hat sich die schwarz-rote Koalition geeinigt. Schon ab Januar sollen alle Männer des Jahrgangs 2008 verpflichtende Fragebögen ausfüllen, ab Mitte 2027 zur Musterung antreten. Wer dort angibt, keinen Dienst leisten zu wollen, den soll die Armee in Ruhe lassen. Vorerst. Denn in Fachkreisen rechnet so gut wie niemand damit, dass die Bundeswehr mit diesem System auf die 80.000 Soldaten kommen kann, die die Nato für notwendig hält. »Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben«, sagte auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Anfang Oktober in der ARD. Mit »Bedarfswehrpflicht« ist dafür auch ein schöner neuer Begriff gefunden, nur wie die genau aussehen soll, weiß niemand. Einem Losverfahren hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zuletzt den Riegel vorgeschoben. Die Entscheidung darüber ist nun vertagt.
Parallel zu dieser Diskussion gewinnt die Idee eines sozialen Pflichtjahres immer mehr Anhänger, insbesondere bei den Grünen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wirbt dafür seit Jahren, zuletzt Ende Oktober beim »feierlichen Gelöbnis« zum 70. Gründungsjahr der deutschen Streitkräfte. Es wird also allerorten diskutiert, junge Menschen flächendeckend in wie auch immer gearteten Verfahren zu wie auch immer gearteten Diensten zu verpflichten. Nur eine Frage findet dabei erstaunlich wenig Beachtung, nämlich, was das eigentlich kosten würde.
Jedem Gesetzesentwurf muss eine Kostenprognose beiliegen. Die zusätzlich nötigen Haushaltsmittel für das freiwillige Fragebogenmodell stehen deshalb fest: Jeweils etwa eine halbe Milliarde Euro für 2026 und 2027, für das Jahr darauf 713 Millionen, 2028 knapp 850 Millionen.
Die ökonomischen Effekte der Wehrpflicht sind kaum erforscht
Wer herausfinden will, wie teuer ein verpflichtender Dienst wäre, findet wenig konkrete Zahlen. Einer, der diese Zahlen berechnet hat, ist Panu Poutvaara. Der Ökonom leitet das Zentrum für Migration und Entwicklungsökonomik am Institut für Wirtschaftsforschung (ifo). Im Auftrag des Bundesfinanzministeriums, damals noch unter Christian Lindner (FDP), untersuchte er mit seinem Team die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Wehrpflicht. Im Gespräch mit Surplus sagt er, ihm sei bis heute keine weitere Studie dieser Art bekannt.
Damals, im Sommer vergangenen Jahres, konnten die Forscher um Poutvaara nur die Gehälter der Wehrdienstleistenden berücksichtigen. Weitere Kosten, etwa für die Auswahl, Verwaltung, Unterbringung und Ausstattung der Rekruten, hängen davon ab, wie die Einberufung konkret abläuft. Inzwischen sei das theoretisch kalkulierbar, sagt Poutvaara, »aber dafür wären eine repräsentative Umfrage und einige Wochen Arbeitszeit erforderlich.« Die hat sich noch keiner genommen. Deshalb bleiben die Ergebnisse nur die untere Grenze der Kosten.
Wenn ein gesamter Jahrgang eingezogen wird – ob für den Bund oder für ein soziales Pflichtjahr –, verursacht das demnach einen Rückgang beim privaten Konsum in Höhe von 79 Milliarden Euro jährlich. Die Zahl basiert auf einem angenommenen Nettogehalt von monatlich 1000 Euro. Wehrpflichtige büßen außerdem deutlich beim Vermögensaufbau ein, weil sie später damit anfangen, zu sparen und sich zu bilden. Das wirkt sich über ihr ganzes Leben aus. Im Alter von 60 Jahren, so prognostizieren die Forscher, läge ihr Vermögen um 20 Prozent niedriger als ohne eine Wehrpflicht. Beim Renteneintritt sind es immer noch sieben Prozent. Ältere Studien zeigen außerdem lebenslange negative Auswirkungen auf das Gehalt, vor allem bei Männern, die durch ihre bessere Bildung eigentlich ein höheres Lohnpotenzial gehabt hätten. Bemerkenswerterweise bestätigen sich diese Ergebnisse sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten.

In Ländern mit verpflichtendem Wehrdienst sind Studierende häufig davon freigestellt. Das wirkt sich auf die Lebensentscheidungen junger Menschen aus: Um den Dienst zu vermeiden, entscheiden sie sich eher für höhere Bildung. Wenn sie können. Dass die Bildungseffekte der Wehrpflicht eine Klassenfrage sind, bestätigt Panu Poutvaara gegenüber Surplus: »Da Menschen aus Arbeiterhaushalten im Durchschnitt seltener an einer Universität studieren als Menschen aus Akademikerfamilien, würde der Gesamteffekt der Möglichkeit, durch Bildung dem Wehrdienst zu entgehen, Menschen aus Akademikerfamilien begünstigen.« Eine schwedische Studie zeigt außerdem, dass Männer aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten eher dazu neigen, später kriminell zu werden, wenn sie Wehrdienst geleistet haben.
