»Die Entscheidungen über den Wiederaufbau müssen von den Menschen in Palästina selbst getroffen werden«, schließt Mezna Qato, Direktorin des Margaret Anstee Centre für globale Studien in Cambridge, ihren rund zehnminütigen Redebeitrag. Sie trägt glasklar, ruhig und eindringlich vor. Ihre Zoom-Kachel befindet sich gemeinsam mit der ihrer Mitpanelistin und Konfliktforscherin Mandy Turner oberhalb zahlreicher Pflanzen und der hellgrauen Metallwand auf einem großen Bildschirm des klimatisierten Hauptraumes der Spore Initiative in Berlin-Neukölln.
Unter dem Titel »Present Continuous: On Palestinian Land, Labor and Economy« treffen sich am 5. und 6. Juli über zwei Tage verteilt insgesamt rund 500 Menschen, um sich über die politische Ökonomie Palästinas auszutauschen. In Panels, Workshops, Ausstellungen, Filmscreenings und auch in den Pausen findet ein reger Austausch wissenschaftlicher, künstlerischer und politisch-aktivistischer Perspektiven statt. Das Mittagessen im Garten wird von zwei Brüdern des Palestinian Cooking Clubs zubereitet. Auch dieser Programmteil ist politisch – und ökonomisch. Vor dem Essen berichten die beiden, dass in Gaza aufgrund der Blockade der Lebensmitteleinfuhr eine einzelne Knoblauchzehe derzeit ganze 10 Schekel kostet, umgerechnet knappe 2,50 Euro. An Fleisch, Shrimps oder gar Chilis, wie sie im Mittagessen verwendet wurden, ist in Gaza derzeit nicht zu denken. Außerdem werde notgedrungen aktuell so gut wie alles brennbare Material als Feuerholz genutzt, was schwere Schäden der Atemwege verursacht.
Den Blick auf die Verhältnisse
Neben dem Wiederaufbau Gazas liegt der Fokus der Konferenz auf den alle palästinensischen Gebiete betreffenden Themenkomplexen Energie und Extraktivismus, Geopolitik, Arbeit sowie immer wieder auf der Logik des andauernden Genozids in Gaza. Positiv, und ganz im Einklang mit dem Statement Mezna Qatos, fällt der sehr hohe Anteil palästinensischer Stimmen im Programm auf. Mehrere Vortragende sind digital aus der West Bank zugeschaltet.
Die Veranstaltung geht jedoch über Repräsentations- oder Identitätspolitik hinaus. Die Kulturarbeiterin und Autorin Lama El Khatib erklärt in der Anmoderation zum ersten Panel, dass »wir über Palästina als einen echten Ort, mit echten Menschen und einem spezifischen Gefüge sozialer und ökonomischer Verhältnisse reden müssen«. Der Anspruch, den Blick auf die materiellen Verhältnisse in Palästina zu fokussieren, zieht sich durch die Konferenz. Das sei nötig, denn »Fragen zu Palästina werden zu oft auf eine humanitäre Perspektive reduziert, und dabei ein Verständnis für die palästinensische Ökonomie und ihre Klassenverhältnisse ausgeblendet«, so Riya al’Sanah von Workers in Palestine. Um über Wege hin zu einer gerechten und friedlichen Zukunft in Palästina-Israel zu reflektieren, sei eine solche Perspektive aber zwingend notwendig.
Energie und Geopolitik
Viele Vortragende stützen ihre Analysen der materiellen Verhältnisse auf eine historische Perspektive. Die Wurzeln der Ausbeutung natürlicher Ressourcen in Palästina durch zionistische Siedler etwa verortet der interdisziplinäre Wissenschaftler Tariq M. Suleiman auf Basis seiner Recherchen in Archiven bei den 1921 genehmigten sogenannten Ruthenberg-Konzessionen. Die gerade erst konstituierte britische Mandatsmacht vergab mehrere Konzessionen, wodurch der Zugriff auf natürliche Ressourcen langfristig strukturiert wurde. Die Konzession an Pinhas Ruthenberg etwa sicherte den Siedlern ein Monopol zur Energiegewinnung im Jordan zu. Die dazu gegründete Palästinensische Stromgesellschaft wurde 1961 in die Israelische Stromgesellschaft überführt.
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