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Das Wirtschaftsmagazin

Vier Milliarden Euro Erbschaftsteuer: Der Fall Thiele zeigt, wie Umverteilung funktionieren kann

Die Mittelschicht in Deutschland zahlt höhere Erbschaftsteuersätze als extrem Reiche – dank Ausnahmen und legalen Konstruktionen.

7 Minuten Lesedauer
Nadia Thiele und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann Heinz Hermann Thiele. Credit: IMAGO/Hannelore Förster

Die wahrscheinlich größte Steuerzahlung eines Menschen in der deutschen Geschichte hat für Aufsehen gesorgt: Es geht um das Erbe des 2021 gestorbenen Unternehmers Heinz Thiele. Fast 4 Milliarden Euro Erbschaftsteuer zahlte seine Familie an den bayerischen Fiskus, wie zuerst die Bild berichtete. Bestätigt werden kann diese Information aufgrund des Steuergeheimnisses nicht endgültig, Medien berichteten jedoch übereinstimmend über die Summe. Doch die kam nur aus Versehen zustande: Die Familie führte jahrelang öffentlich einen Erbstreit und konnte sich bis zuletzt nicht rechtzeitig einigen, bevor das Finanzamt zugriff. Dass eine derart hohe Summe als Erbschaftsteuer abfließt, ist eine Ausnahme von der Regel. Viel häufiger werden Milliardenvermögen geschenkt und vererbt, ohne dass der Fiskus viel davon hat.

Das liegt maßgeblich an den eklatanten Ausnahmen, die für Superreiche nutzbar sind, die im Fall Thiele nicht gegriffen haben. Einer Analyse der Steuerexpertin Julia Jirman zufolge wurden im Jahr 2023 bei kleinen Erbschaften und Schenkungen mehr als doppelt so hohe Steuern gezahlt als auf größere: Wer unter 200.000 Euro vererbt bekommen hat, zahlte durchschnittlich 12,1 Prozent Steuern – wer hingegen über 20 Millionen Euro vererbt bekommen hat, zahlte durchschnittlich 4,7 Prozent Steuern. Berechnungen des Netzwerk Steuergerechtigkeit zufolge waren es im Zeitraum 2011 bis 2020 durchschnittlich sogar nur 2,8 Prozent auf Vermögen über 20 Millionen Euro, und 9 Prozent auf Vermögen darunter.

Effektiv ergibt sich so bei Erbschaften ein regressiver, statt des gesetzlich vorgeschriebenen progressiven Steuersatzes. Wer mehr erbt, muss prozentual weniger abdrücken. Die Ursachen in dieser ungleichen und ungerechten Besteuerung liegen im Erbschaftsteuerrecht selbst.

Lücken im Erbschaftsteuerrecht

Die Familie Thiele hat das Erbe Heinz Thieles, dem damaligen Hauptaktionär von Knorr-Bremse und des Bahnkonzerns Vossloh, auf gleich mehrere Weisen »gestaltet«: Die Tochter Julia Thiele-Schürhoff hat schon vor dem Tod ihres Vaters 17 Prozent des Knorr-Bremse-Betriebes geschenkt bekommen. Dann sollten die restlichen 15 Milliarden Euro in Form von Anteilen an dem Betrieb, Immobilien sowie Beteiligungen an der Lufthansa und Vossloh in eine Familienstiftung fließen – aus der wiederum die Witwe Nadia und Tochter Julia jährliche Ausschüttungen erhalten sollten. Diese Stiftung wurde jedoch erst im Jahr 2023 nach Heinz Thieles Tod und einem langen Erbstreit gegründet – zu spät, um Steuervorteile in ihrer Fülle nutzen zu können.

Die Erbschaftsteuer zahlen vor allem diejenigen, die vor dem Tod keine Arrangements zur Steuervermeidung getroffen haben – in den meisten Fällen, weil sie es sich nicht leisten können, zum Beispiel, weil sie als Normalsterbliche keinen Zugang zu Family-Offices haben. Vor allem extrem Reiche lassen sich professionell und kostspielig beraten, wie sie ihre Steuerlast beim Erben verringern oder gar komplett vermeiden können. Das kann auf mehrere Weisen kreativ, aber vollkommen legal »gestaltet« werden:

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Xenia Miller

Xenia Miller ist Redakteurin bei Surplus. Sie hat vorher bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gearbeitet und Politikwissenschaften, Soziologie und Politische Theorie studiert.

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