Sicherheit ist weltweit ein knappes Gut. Der Wahlerfolg rechter Parteien wird damit erklärt, dass sozial und ökonomisch verunsicherte Menschen das Vertrauen in die Mainstream-Parteien verloren haben. Mehr und mehr Unternehmen haben das Problem, dass sie ihre Geschäftsaussichten aufgrund der allgemeinen Unsicherheit nicht mehr einschätzen können. Und schließlich sehen Regierungen in den USA und Europa ihre nationale Sicherheit bedroht. Die Reaktion der Politik auf diese Lage schafft vor allem eins: noch mehr Unsicherheit.
Verunsicherte Menschen
Der – zumindest im Durchschnitt – immer noch wachsende Wohlstand in den meisten Ländern führt offenbar nicht dazu, dass sich die Menschen sicherer fühlen, im Gegenteil. »Wirtschaftliche Unsicherheit, wachsende Ungleichheit, soziale Fragmentierung und schwindendes Vertrauen destabilisieren Gesellschaften weltweit«, mahnt der jüngste World Social Report 2025 der UN. Fast 60 Prozent der Menschen weltweit befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und keine neue Beschäftigung zu finden. Trotz Fortschritten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Vernetzung glaubten fast 40 Prozent der Menschen, dass das Leben heute schlechter ist als vor 50 Jahren. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung berichte, wenig bis gar kein Vertrauen in ihre Regierung zu haben. »Der Aufstieg des Rechtspopulismus lebt von wirtschaftlicher Unsicherheit und der Angst vor sozialem Abstieg«, hält der UN-Sonderberichterstatter für Armut und Menschenrechte, Olivier De Schutter, fest. »Die rechten Botschaften sind besonders für Wählerinnen und Wähler attraktiv, die ihren Statusverlust fürchten und sich durch kulturelle sowie wirtschaftliche Veränderungen bedroht fühlen.«
Verunsicherte Wirtschaft
»Schnallen Sie sich an: Unsicherheit ist der neue Normalzustand«, mit diesen Worten leitete die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgieva, die vergangene Tagung des IWF ein. Gemeint ist mit dieser neuen Unsicherheit nicht mehr die »normale« Unabwägbarkeit von Konjunktur, Konkurrenz und der Marktentwicklung. Es geht um Grundsätzliches: Aufrüstung, drohende Kriege, Handelsstreitigkeiten, Zölle, Wirtschaftssanktionen, Exportverbote und Investitionskontrollen stellen das System infrage, in dem produziert und verkauft wird. Die Bedingungen des Wirtschaftens selbst sind fragil geworden – niemand weiß, ob die Geschäfte, die heute geplant werden, morgen überhaupt noch erlaubt sind und wenn ja, unter welchen Regeln. Dazu kommt insbesondere für Europas Unternehmen der »potenzielle China-Schock« (Deutsche Bank), von dem man nicht weiß, ob und wann er sein Potenzial entfaltet.
Das berechenbare Risiko wird also ergänzt durch die Unsicherheit, die unkalkulierbar ist. Die Folge: Laut einer neuen Umfrage des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) ist es für Unternehmen in Deutschland zunehmend schwierig, ihre zukünftige Entwicklung einzuschätzen. Im Oktober fiel es 77,8 Prozent der Firmen schwer oder eher schwer, ihre Geschäftsentwicklung zu prognostizieren. »Die Unternehmen sehen sich vielen geopolitischen Risiken ausgesetzt«, kommentierte Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. In der Industrie sei die Unsicherheit besonders hoch. Hier liege der Anteil der Unternehmen, die Schwierigkeiten bei der Planung ihrer Geschäftsentwicklung melden, bei knapp 90 Prozent. De facto sei keine Branche davon ausgenommen.
Verunsicherte Staaten
Die Unsicherheit hat auch jene Institutionen ergriffen, die eigentlich für die Produktion von Sicherheit zuständig sein sollten: die Regierungen. US-Präsident Donald Trump stützt seinen Handelskrieg auf Notstandsvollmachten. Die Einführung von Zöllen gegen nahezu alle Länder der Welt begründete er im April mit dem »Schutz unserer Souveränität« und der »Stärkung unserer nationalen und wirtschaftlichen Sicherheit«.
Die EU hat ihrerseits eine »Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit« vorgelegt, Europa drohe eine »existenzielle Krise«, so der Draghi-Report zur Wettbewerbsfähigkeit der EU: »Erstmals seit dem Kalten Krieg müssen wir um unseren Selbsterhalt fürchten«. Kommissionschefin Ursula von der Leyen sah in ihrer jüngsten Rede zur Lage der Union eine »Ära der Angst, der Unsicherheit« heraufziehen. »Europa muss kämpfen um seinen Platz in einer Welt, in der viele Großmächte Europa gegenüber entweder ambivalent oder offen feindselig eingestellt sind«, sagte sie, es sei »eine Welt imperialer Ambitionen und imperialer Kriege.«
Deutschland hat einen Nationalen Sicherheitsrat eingesetzt, der letzte Woche erstmals tagte. Dabei geht es bei weitem nicht nur um eine Bedrohung durch Russland. »Unsere Freiheit, unsere Sicherheit, unser Wohlstand werden offen infrage gestellt, bedroht von außen und von innen«, sagte Merz am Dienstag in Weimar. Alle Regierungen beklagen die neue Unsicherheit – und machen einander als Quelle dieser Unsicherheit aus. Das äußert sich in einer allseitigen Klage der »Abhängigkeit« von den anderen Wirtschaftsblöcken – man sei auf sie angewiesen als Exportmarkt, als Lieferant oder als Investor. »Wir erleben Ausfuhrkontrollen in China, die ganze Produktionslinien bei uns in Bedrängnis bringen«, so von der Leyen. »Drohende Handelskriege schaffen Unsicherheit. Und Sie wissen, was Unsicherheit für Investitionen bedeutet.«
