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Anne Brorhilker: Die Cum-Ex-Lobby fördert Finanzkriminalität

Die Aufklärung des Cum-Ex-Betrugs wird durch starke Lobby-Gegenwehr erschwert. Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker gibt in ihrem neuen Buch schockierende Einblicke.

8 Minuten Lesedauer

Collage: Surplus, Material: IMAGO/W2Art/BREUEL-BILD

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch Cum/Ex, Milliarden und Moral –Warum sich der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität lohnt von der ehemaligen Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker und der Autorin Traudl Bünger. Das Buch ist am 11. November 2025 bei Heyne erschienen.


Die ursprüngliche Idee von Lobbyarbeit ist eigentlich ganz unschuldig: Steht beispielsweise eine Entscheidung über eine Gesetzesänderung an, dann können sich Politik und Verwaltung mit Lobbyisten, also Vertretern der betreffenden Branche, austauschen und so deren Expertise und Praxisperspektive für die Entscheidungsfindung nutzen. Hierbei geht es um einen ehrlichen Austausch. Der ist rechtsstaatlich und demokratisch. In Schieflage gerät dieses System bei Intransparenz und/oder einem starken Ungleichgewicht in der Interessenvertretung. Wenn die Öffentlichkeit nicht mehr nachvollziehen kann, wie und von wem politische Entscheidungsträgerinnen beeinflusst werden, oder wenn die Interessen von einigen wenigen mächtigen Unternehmen viel stärker vertreten sind als die der Zivilgesellschaft. Dann entsteht ein Schaden für unser Gemeinwohl und für die Demokratie.

Seit drei Jahren gibt es in Deutschland ein Lobbyregister, in das sich die Lobby-Akteure eintragen müssen. Das ist ein echter Fortschritt, weil nun endlich mehr Licht in das Dunkel der Finanzlobby fällt. Finanzwende nutzt das Register jährlich, um zu schauen, was Neues über die Finanzlobby aus dem Register gelernt werden kann. Aber auch Finanzwende war überrascht, als sie 2023 zum ersten Mal analysierte: Unter den Top-Lobbyistinnen ist die Finanzlobby am stärksten. Nicht die Autolobby, nicht die Pharmalobby, sondern die Finanzlobby. Und das Ergebnis bestätigte sich seither jedes Jahr. Mittlerweile seit drei Jahren steht die Finanzbranche an der Spitze. Unter den Top-100-Einträgen sind zehn von der Finanzlobby – mehr als von jeder anderen Branche. Allein diese Top-10-Akteure der Finanzlobby gaben im Jahr 2024 fast 40 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus, mehr als die größten Akteure der Auto- und Chemielobby zusammen. 442 Lobbyistinnen haben im vergangenen Jahr in Berlin allein für diese zehn Finanzakteure – also die Spitze des Eisbergs – Prozesse und Gesetze im Sinne der Finanzbranche beeinflusst.

Rechnet man diese Zahl auf die Mitglieder des Finanzausschusses des Bundestags um, dann kommen auf jedes Mitglied fast zehn Lobbyistinnen, die sich an jeder Stelle des Gesetzgebungsprozesses intensiv einschalten können. Einige Seitenwechsler aus der Politik, die ihr Netzwerk für privilegierte Zugänge beispielsweise zu Ministerinnen und Staatssekretärinnen nutzen können, sind dabei und machen immer mal wieder Schlagzeilen. Sie sind aber nur die exponiertesten Vertreter von vielen weiteren. Die Finanzlobby kennt vielfältige Wege, ihren Interessen Gehör zu verschaffen. Und auch hier gibt es eine gefährliche Schieflage.

Anne Brorhilker und Traudl Bünger: Cum/Ex, Milliarden und Moral

Warum sich der Kampf gegen Wirtschaftskriminalität lohnt. 11. November 2025, Heyne.

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Zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten, können da schlicht nicht mithalten. Sie verfügen nicht über eine vergleichbare Anzahl gut bezahlter Mitarbeiter, geschweige denn ähnlich hoher Lobby-Budgets. Die Bürgerbewegung Finanzwende konnte zum Beispiel 2024 nicht einmal 140 000 Euro in Lobby-Aktivitäten investieren. Allein der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gibt im Vergleich jedes Jahr über 15 Millionen Euro für Lobbyarbeit im politischen Berlin aus. Auch Seitenwechsler aus der Politik sind in diesen Organisationen selten zu finden. Dieses Ungleichgewicht an Kräften, Budget und politischen Netzwerken führt dazu, dass die profitgeleiteten Einzelinteressen der Finanzbranche viel öfter Gehör finden als gemeinwohlorientierte Perspektiven. Die Politikwissenschaftlerin Wiebke Marie Jung hat festgestellt, dass Lobbyismus auch immer eine Frage des Geldes ist: »Meine Forschung zeigt, dass das mit mehr Lobby-Aktivität, mit mehr Zugang zu Politikern und mit mehr Erreichung von Lobby-Zielen zusammenhängt.« Deswegen wundert es mich nicht, dass gerade da, wo es um viel Geld geht, politische Entscheidungen getroffen werden, die nicht im öffentlichen Interesse sind. Bei Cum-Ex ging es um sehr viel Geld.

Ein Gesetz – null Effekt

Im Jahr 2007 hat das Bundesfinanzministerium versucht, Cum-Ex-Betrug mit einem Gesetz zu unterbinden. Wie wir heute wissen, hat das nicht funktioniert. Will man wissen, warum, dann muss man sich die Umtriebe rund um dieses Gesetz genauer anschauen: Erstens fällt auf, dass die Gesetzesvorlage direkt vom Bankenverband stammte, einer mächtigen Lobbyorganisation. Zweitens fällt auf, dass die Vorlage des Bankenverbandes nahezu wörtlich, bis auf das letzte Komma, in das Gesetz übernommen wurde. Erstaunlicherweise. Das ist in etwa so, als würde man einer Autoschieberbande die Aufgabe übertragen, ein neues System für Sicherheitsschlösser zu entwickeln. Drittens fällt auf, dass das alles geschah, obwohl kritische Stimmen aus den eigenen Reihen der Finanzverwaltung darauf hinwiesen, dass diese Vorlage den Betrügern in die Hände spiele. Diese Stimmen wurden ignoriert, behielten aber recht: Nachdem dieses Gesetz verabschiedet worden war, nahm der Cum-Ex-Betrug erst richtig Fahrt auf. Denn der Gesetzentwurf enthielt zwar Regelungen für Leerverkäufer mit inländischen Debotbanken, richtete sich aber nicht an Leerverkäufer, die eine im Ausland ansässige Depotbank nutzten – mit dem Effekt, dass genau darüber fortan die Cum-Ex-Betrügereien abgewickelt wurden.

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Anne Brorhilker

Anne Brorhilker ist Geschäftsführerin der Bürgerbewegung Finanzwende. Sie war Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Köln und ermittelte zum Cum-Ex-Steuerbetrug.

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