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Die drei wichtigsten News der letzten zwei Wochen
- USA wollen Gesundheitsdaten über Big-Tech-Apps sammeln
Die US-Regierung plant, Gesundheitsdaten künftig über Apps von Google, Apple, Amazon oder OpenAI auszutauschen – mit Verweis auf bessere Versorgung chronisch Kranker. Datenschutzstandards wie HIPAA greifen dabei nur begrenzt. (Link)
Wichtig, weil: Die Verschmelzung von Gesundheitswesen und Big Tech könnte ein neues Geschäftsmodell begründen, aber auf Kosten sensibler Patientinnen-Daten. Gesundheitsdaten sind eigentlich kein Wirtschaftsgut. Wenn sie aber systematisch in Plattformstrukturen eingebettet werden, entsteht ein Markt um ein Gut, das gesellschaftlich sensibler kaum sein könnte. - Klagen gegen Webportal Booking.com: Zehntausend Hotels sagen der Plattform den Kampf an (Link)
Der Vorwurf: Die Plattform habe sie jahrelang mit sogenannten Bestpreisklauseln gezwungen, nirgendwo anders günstigere Preise anzubieten – nicht mal auf der eigenen Website. Ein klarer Verstoß gegen das Kartellrecht, urteilte der EuGH bereits 2024.
Wichtig, weil: Das ist nicht nur ein Streit über Buchungspreise. Es geht um die Grundsatzfrage, ob Plattformen ihre Marktmacht nutzen dürfen, um Geschäftsbedingungen zu diktieren. Wenn selbst internationale Hotelketten kollektiv klagen müssen, um sich Gehör zu verschaffen, zeigt das: Digitale Monopole sind längst kein Startup-Problem mehr, sondern die Spitze eines strukturellen Machtgefüges – mitten in Europas Tourismuswirtschaft. - U.S. Army bündelt Softwareverträge – bis zu 10 Milliarden Dollar für Palantir über ein Jahrzehnt (Link)
Das US‑Verteidigungsministerium fasst 75 Palantir‑Verträge unter einem Enterprise‑Deal zusammen – maximaler Wert: 10 Milliarden Dollar. Das Ziel ist schnellere Beschaffung, geringerer Verwaltungsaufwand und günstigere Konditionen durch Volumenrabatte.
Wichtig, weil: Palantir wird zum Betriebssystem des Militärs. Was früher staatliche Kernaufgabe war, liegt nun in der Hand eines gewinnorientierten Konzerns, genauer: einem Unternehmen, das Krieg als Geschäftsmodell sieht. Auch in Deutschland nutzen Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen bereits Palantir-Software.
Thema der Woche:
»Ich bin über 18« reicht nicht mehr –
Online Safety Act in Großbritannien
»Ich bin über 18« reicht nicht mehr –
Online Safety Act in Großbritannien
Ab dem 25. Juli 2025 verlangt der britische Online Safety Act eine verpflichtende Altersverifikation: Egal ob es sich um Pornoseiten handelt oder um Plattformen mit potenziell »schädlichem« Inhalt wie Selbstmord, Essstörungen oder Gewalt – man muss beweisen, dass man volljährig ist: per Ausweisfoto, Gesichtsscanner oder Kreditkartennachweis. Biometrische Daten oder digitale IDs müssen abgegeben werden, um überhaupt auf bestimmte Webseiten zugreifen zu können. Wer eine Plattform betreibt, auf der Menschen miteinander interagieren, Inhalte teilen oder veröffentlichen, muss – wenn diese Plattform in Großbritannien (auch nur theoretisch) nutzbar ist – entsprechende Schutzmaßnahmen umsetzen. Das Gesetz markiert eine Wende in der digitalen Regulierung – weg von Risikobewertung, hin zur pauschalen Inhaltskontrolle. Wer im Netz aktiv ist, steht künftig unter Generalverdacht. Wer Inhalte bereitstellt, muss sich absichern und zwar so, als wäre jede Nutzerin und jeder Nutzer potenziell gefährdet oder gefährlich. Kinderschutz wird hier zum politischen Totschlagargument. Kaum ein Thema erlaubt so wenig Widerspruch und kaum eines wird so bereitwillig als Vorwand genutzt, um Kontrolle auszuweiten.
Schutz als Vorwand?
Kaum jemand wird bestreiten, dass Minderjährige online besonders geschützt werden müssen. Doch wie dieser Schutz umgesetzt wird, ist entscheidend. Der britische Ansatz basiert auf umfassender Inhaltskontrolle, Altersverifikation und weitreichenden Eingriffsrechten der Regulierungsbehörde Ofcom. Plattformen, die gegen die Vorgaben verstoßen, drohen Bußgelder von bis zu 10 Prozent ihres globalen Jahresumsatzes
Die Konsequenz: Viele Anbieter agieren nicht mehr risikobewusst, sondern risikovermeidend. Inhalte werden vorsorglich gelöscht, Diskussionen gesperrt, Sichtbarkeiten eingeschränkt – selbst dann, wenn keine rechtliche Verpflichtung dazu besteht. Die britische Organisation Open Rights Group warnt vor genau diesem Effekt: »Diese Bypass-Strategie führt dazu, dass auch legale Inhalte entfernt werden, was einen Chilling Effect auf die Meinungsfreiheit schafft.« Es kommt also zu vorauseilendem Gehorsam, aus Angst, etwas Falsches zu machen.
In der Praxis bedeutet das: Aktivistinnen und Aktivisten überlegen zweimal, ob sie einen politischen Post absetzen. Künstlerinnen und Künstler fragen sich, ob ihr Werk missverstanden werden könnte. Selbst wissenschaftliche oder gesundheitliche Informationen – etwa zu Essstörungen, psychischen Erkrankungen oder sexueller Aufklärung – verschwinden aus Vorsicht aus dem Netz.
Plattformen filtern nicht nur »illegales« Material, sondern alles, was potenziell zu Problemen führen könnte. Was dabei als problematisch gilt, entscheiden nicht Gerichte oder gesellschaftliche Debatten, sondern interne Moderationsteams, automatisierte Systeme – oder schlichtweg das Risikoempfinden eines Unternehmens, das keine Strafen zahlen will. So entsteht eine neue Form der Unsichtbarkeit: Inhalte, die legal, relevant und gesellschaftlich notwendig wären, verschwinden in algorithmischen Schatten. Es ist die stille Selbstzensur, die keine Schlagzeilen macht, aber die digitale Öffentlichkeit nachhaltig verändert.
Altersverifikation als Kontrollmechanismus
Die technische Umsetzung bleibt oft unklar. Das OSA verlangt technisch weitreichende Kontroll-, Prüf- und Filtermechanismen, gibt aber oft keine genauen Standards, Verfahren oder geprüfte Technologien vor. Die Unsicherheit, wie etwas überhaupt umgesetzt werden kann und darf, macht das Gesetz so problematisch und führt nicht nur zu Übererfüllung, Innovationsstau und letztlich Marktaustritten: Gleichzeitig, so warnt die Open Rights Group, entstehe ein »neuer Markt für weitgehend ungetestete Dienste, die sensible Daten verarbeiten« – mit unklarem Nutzen, aber hohen Risiken für Datenschutz und Nutzerrechten.
Während große Plattformen die technischen und juristischen Anforderungen noch stemmen können, geraten kleinere Anbieter zunehmend unter Druck. Community-Plattformen, gemeinnützige Medienprojekte oder Foren mit moderatem Budget haben weder die Ressourcen noch die Infrastruktur, um sich rechtskonform aufzustellen. Das fördert eine neue Form von Plattformkonzentration: je höher der Compliance-Aufwand, desto größer der Vorteil für marktbeherrschende Anbieter. Was als Schutzmaßnahme gedacht war, könnte am Ende zu einer weiteren Erosion digitaler Vielfalt führen.
Innovation unter Verdacht
Ein weiterer Nebeneffekt: Das regulatorische Risiko schreckt viele Anbieter und Investorinnen ab. Bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes haben internationale Plattformen signalisiert, ihre Dienste im Vereinigten Königreich einschränken oder ganz zurückziehen zu wollen. Für ein Land, das sich als digitaler Vorreiter positionieren möchte, ist das eine paradoxe Entwicklung.
Zudem stellt sich die Frage, ob sich innovative Formate, die auf kreative, offene oder sensible Inhalte setzen, künftig überhaupt noch entwickeln können, wenn das rechtliche Umfeld von Misstrauen und Überwachung geprägt ist.
Ein europäischer Kontrast
Die Europäische Union versucht sich mit dem Digital Markets Act (DMA) und dem AI Act an einer Regulierung der großen Plattformen – mit Betonung auf »versucht«. Der Anspruch ist erkennbar: systemische Risiken benennen und Transparenz stärken. Vieles daran ist halbgar, manches technokratisch verwässert. Es geht – zumindest im Anspruch – um Regulierung von Plattformen, nicht durch sie. Um Schutz vor Macht, nicht um Schutz durch Kontrolle. Großbritannien dagegen driftet ab. Während die EU zumindest noch zwischen Infrastruktur und Inhalt trennt, macht Großbritannien beides zur Sache staatlicher Kontrolle. Der britische Online Safety Act reguliert nicht nur Macht, sondern Kommunikation selbst. Es geht nicht mehr nur um Wettbewerb, sondern um Sichtbarkeit, Zugang, Sprache.
Der Online Safety Act wirft eine grundlegende Frage auf, die auch in anderen Ländern zunehmend diskutiert wird: Wie lässt sich Sicherheit im Netz garantieren, ohne demokratische Prinzipien zu untergraben? Eine Antwort darauf muss sein, dass Sicherheit nicht nur Schutz vor Inhalten meint, sondern auch Schutz für Stimmen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Für Communitys, die ohnehin unterrepräsentiert sind. Für Aktivistinnen, Journalisten, Kulturschaffende, aber auch für all jene, die sich im digitalen Raum ausprobieren und weiterentwickeln möchten.
Der britische Online Safety Act steht exemplarisch für eine globale Entwicklung: Der Ruf nach Sicherheit wird mit technischen Kontrollmaßnahmen beantwortet – oft zu Lasten von Grundrechten. Wenn demokratische Freiheiten nur noch unter Vorbehalt gelten, verschiebt sich die Balance: weg von Vertrauen, hin zu Verdacht. Gerade deshalb sollte Europa diesen Weg nicht mitgehen. Am Ende stellt sich nicht nur die Frage, wie wir schützen, sondern was dabei verloren geht.
Ein bereinigtes Netz ist nicht automatisch ein sicheres Netz. Es ist aber ein langweiliges. Ein armes. Ein kontrolliertes.
Cliffhanger der Woche
OpenAI peilt eine Bewertung an, die bei 500 Milliarden Dollar liegt – deutlich über dem bisherigen Niveau von 300 Milliarden Dollar. Das wäre nicht nur ein gigantischer Wachstumssprung; OpenAI würde sogar am Unternehmen SpaceX vorbeiziehen. Laut Medienberichten handelt es sich bislang um frühe Gespräche über einen Share-Sale für Mitarbeitende.
Wir bleiben gespannt.
Bis zur nächsten Woche,
Aya Jaff