Am 17. Juli reiste Bundeskanzler Friedrich Merz nach London, um mit Premier Starmer den neuen Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen – ein klares Signal engerer Zusammenarbeit in der Post-Brexit-Ära. Das Abkommen etabliert eine Struktur für engere bilaterale Zusammenarbeit in Sicherheit, Verteidigung, Wirtschaft und Klimapolitik.
Neben außen- und sicherheitspolitischer Zusammenarbeit deckt der »Kensington-Vertrag« auch wirtschaftliches Wachstum und Handel ab und soll die deutsch-britischen Beziehungen auf neuen strategischen Kurs bringen. Ein eigenes Kapitel widmet sich explizit der wirtschaftlichen Kooperation mit Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und dem dringend nötigen Aufschwung der seit dem Brexit eingebrochenen Handelsbeziehungen.
Die britische Wirtschaft leidet seit dem EU-Austritt unter Wachstumsschwäche: Zwar behauptet sich die Finanzbranche der City als führende Dienstleistungsbranche, doch im Handel zeigen sich erhebliche Einbußen. Die vermeintliche unkontrollierte Einwanderung einzudämmen, war einst zentrales Versprechen der Brexiteers. Doch Labour-Chef Keir Starmer hält den Tories vor, die Situation nicht in den Griff bekommen zu haben: »Zwischen 2019 und 2024, als die Regierung den Menschen weismachen wollte, die Netto-Migration sinke, hat sie sich in Wahrheit vervierfacht – fast eine Million Menschen sind in dieser Zeit gekommen. Das ist nicht Kontrolle. Das ist Chaos.« Die Labour-Partei plant mit strengeren Asylregeln, die »Fortress Britain« zu erhalten.
»Taking back control« zeigt sich auch im Handel: Laut dem Office for Budget Responsibility (OBR) sei langfristig mit 15 Prozent weniger Handelsvolumen in Großbritannien zu rechnen, bei vier Prozent weniger Wachstum für Großbritannien. Besonders kleinere und mittlere Unternehmen haben den Kontakt zur EU eingeschränkt. Der neue Freundschaftsvertrag will diese Handelsbeziehungen wiederbeleben. Auf Ebene der Unternehmen, des Handels und der Industrie sollen Verbindungen gestärkt und Wertschöpfungsketten weiter ausgebaut werden.
Kein »neuer Bilateralismus«
Was Merz nun jedoch als »historischen Tag« für die deutsch-britische Freundschaft feiert, ist historisch betrachtet nichts Neues. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der »neue Bilateralismus« keine strategische Innovation ist, sondern die Fortsetzung einer lang etablierten britischen Außenpolitik. Einflussreiche Politikwissenschaftler und EU-Experten wie Anand Menon betrachten die vierjährigen Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU als ein aussichtsloses Tauziehen. Doch sie sind vielmehr Ausdruck eines historischen Musters: der permanenten Nachsteuerung des britischen Einflusses auf dem europäischen Kontinent – ob inner- oder außerhalb der EU.
Denn schon vor dem britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1973 suchte London nach kontinentalen Partnern – jedoch außerhalb des gemeinsamen Marktes. Um dem wachsenden Einfluss der EWG etwas entgegenzusetzen, initiierte Großbritannien 1956 mit Staaten wie Dänemark, Schweden und Norwegen die Gründung der Free Trade Area (FTA). Ziel war es, die EWG-Mitgliedschaft zu umgehen und zugleich ein eigenes wirtschaftliches Gegengewicht auf europäischem Boden zu schaffen.
Für die britische Regierung bedeutete die FTA die Möglichkeit, bei der Zusammenarbeit Abkommen zur Landwirtschaft und Tarifangleichung bewusst auszuklammern. Gleichzeitig konnte London die Beibehaltung des »Imperial Preference Systems« sichern, das tief in den Handelsbeziehungen des britischen Commonwealth verankert war. Dadurch blieb Großbritannien trotz wachsender europäischer Handelsintegration wirtschaftlich eng mit seinen früheren Kolonien verbunden.
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