Nur wenigen politischen Führungspersönlichkeiten gelingt es, ihre Gesellschaften auch nur einmal zu retten, von zweimal ganz zu schweigen. Charles de Gaulle hat dies jedoch geschafft. Während des Zweiten Weltkriegs führte er die freien französischen Streitkräfte an, um später den Algerienkrieg zu beenden und die Fünfte Republik, wie wir sie heute kennen, zu gründen. Mario Draghi bekam im vergangenen Jahr ebenfalls eine zweite Chance.
Draghis erster heroischer Moment kam auf dem Höhepunkt der Eurokrise im Jahr 2012, als er als Präsident der Europäischen Zentralbank erklärte, dass die EZB »alles tun werde, was nötig ist«, um einen Finanzkollaps abzuwenden. Später legte ihm die Europäische Kommission erneut die Schlüssel zur Zukunft Europas in die Hand. Im vergangenen September veröffentlichte er einen wegweisenden Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas, dessen Kernaussage heute aktueller denn je ist.
Der Draghi-Bericht zeigt, dass das Pro-Kopf-Einkommen in den Vereinigten Staaten seit der globalen Finanzkrise des Jahres 2008 stärker gewachsen ist als in Europa, das technologisch hinter Amerika (und China) zurückfiel. Da diese Produktivitätslücke auf chronische Unterinvestitionen zurückzuführen ist – EU-Unternehmen gaben allein im Jahr 2021 270 Milliarden Euro weniger für Forschung und Entwicklung aus als ihre US-Konkurrenten – empfiehlt Draghi, die Investitionen in Europa um 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr (etwa 4,4 bis 4,7 Prozent des BIP) zu erhöhen.
Die EU braucht eine Vision für Investitionen
Europa braucht jedoch keine Investitionen um der Investitionen willen, sondern vielmehr Investitionen in wirtschaftliche Missionen. Ist innovatives, integratives und nachhaltiges Wachstum das Ziel, besteht die Aufgabe des Staates nicht nur darin, die Märkte zu korrigieren, sondern sie zu gestalten. Im Rahmen eines »unternehmerischen Staates« kann der öffentliche Sektor die Schaffung von öffentlichem Mehrwert maximieren, indem er einen ergebnisorientierten Ansatz verfolgt und Investitionen auf klar definierte Ziele ausrichtet. Der Staat sollte nicht nur als Kreditgeber der letzten Instanz fungieren, sondern in strategischen Sektoren als Frühphaseninvestor auftreten.
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