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Das Wirtschaftsmagazin

Großprojekt in Namibia: Grüner Wasserstoff, koloniale Abhängigkeiten

Die Wasserstoffkooperation zwischen der namibischen Regierung und einem deutschen Unternehmen wirft Fragen nach Gerechtigkeit auf.

6 Minuten Lesedauer

In diesem Nationalpark in Namibia soll künftig Wasserstoff produziert werden. Credit: IMAGO/imagebroker

Es ist ein grauer Freitagmorgen im Oktober. Auf der Friedrichstraße in Berlin-Mitte haben sich rund fünfzehn Aktivistinnen und Aktivisten versammelt. Sie tragen orangefarbene Regenjacken, in weißen Buchstaben steht attac darauf. Ihr Protest findet vor der Hausnummer 90, einem großen, aber unscheinbaren Bürogebäude mit dunkler Fassade, statt. Im 5. Stock des Hauses hat die deutsche Energiefirma Enertrag SE ihr Berliner Büro. Über der Eingangstür haben die Aktivistinnen und Aktivisten ein weißes Banner angebracht. Darauf steht »›Green Hydrogen‹: Colonialism 2.0?«

Enertrag will ab 2026 grünen Wasserstoff in Namibia produzieren und in großen Mengen nach Deutschland importieren. Der grüne Wasserstoff soll Deutschland unter anderem dabei helfen, seine Klimaziele einzuhalten. In Namibia soll die Wasserstoffproduktion Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen – so zumindest lautet das Versprechen. Die Aktivistinnen halten das Projekt für eine Form des Energiekolonialismus und fordern, dass es gestoppt wird. 

Unter ihnen ist auch Paul Thomas. Er ist 37 Jahre alt und stammt aus Namibia. Thomas gehört zum indigenen Volk der Nama und arbeitet ehrenamtlich als Sprecher der NTLA, der Nama Traditional Leaders Association. »Wir durften an keiner Stelle unseren Input geben, wir wurden nicht gefragt, was wir von dem Projekt halten. Dabei wird es auf unserem Land gebaut«, sagt er.

Grüner Wasserstoff für Deutschland aus Namibia

Das Gebiet, auf dem der grüne Wasserstoff entstehen soll, liegt auf historischem Land der indigenen Volksgruppen Nama und Ovaherero. Zwischen 1904 und 1908 haben deutsche Kolonialherren rund 100.000 von ihnen umgebracht. Unzählige weitere wurden entrechtet und in Arbeitslagern versklavt. 

2023 hatte die namibische Regierung das Wasserstoff-Projekt ausgeschrieben. Enertrag hat sich zusammen mit anderen Firmen an der Ausschreibung beteiligt und gewonnen. Unter dem Namen »Hyphen« kooperiert das deutsche Energieunternehmen seitdem mit Nicholas Holdings, einem Kapitalinvestor aus Großbritannien, der auf St. Kitts and Nevis registriert ist – einem Steuerparadies, das für seine Intransparenz bekannt ist. Gemeinsam haben sie 10 Milliarden Dollar investiert. Auf einer Fläche von 4.000 Quadratkilometern soll das Projekt im Tsau-II Khaeb-Nationalpark im Süden Namibias errichtet werden. Zum Vergleich: Berlin erstreckt sich über eine Fläche von nur rund 900 Quadratkilometern. 

Läuft alles nach Plan, wird das Hyphen-Projekt eine der größten Wasserstoffanlagen Afrikas. Ab 2026 sollen dort jährlich rund 300.000 Tonnen Wasserstoff und 1.000.000 Tonnen Ammoniak produziert werden. Der Großteil davon ist für den Export über den Hafen von Lüderitz nach Europa vorgesehen. In Deutschland ist die Nachfrage nach grünem Wasserstoff trotz Schwankungen hoch. Denn die deutsche Bundesregierung hat sich vorgenommen, bis 2045 klimaneutral zu sein. Um das zu erreichen, muss das Land sich von fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdöl verabschieden und auf erneuerbare Energien umsteigen. Grüner Wasserstoff aus Namibia soll dabei eine entscheidende Rolle spielen. 

Gleichzeitig herrscht in Namibia selbst eine große Energiearmut. Nach aktuellen Schätzungen haben nur 56 Prozent der namibischen Bevölkerung Zugang zu Strom. Auch wenn die namibische Regierung das Projekt initiiert hat, hält sie selbst nur 24 Prozent der Anteile, der Rest liegt bei Hyphen. Damit ist sie sogenannter Minority Shareholder und hat fast keine Kontrollmacht über das Projekt. Die Entscheidungsgewalt liegt komplett bei den privaten Mehrheitseigentümern Enertrag und Nicholas Holding.

Koloniale Muster

Für Leute wie Paul Thomas klingt das nach einer Neuauflage alter Muster: »Sie nehmen unsere Ressourcen, sie machen Gewinne und wir haben nichts zu sagen«. Er dreht sich um und schaut Richtung Büroeingang. Dann sagt er: »Es zeigt, dass Deutschland immer noch in der Denkweise von 1884 feststeckt, als sie unser Land gestohlen haben.« 

Seit sie vor rund zwei Jahren von dem Projekt erfahren haben, fordern die NTLA so wie die Ovaherero, dass sie stärker beteiligt werden. Dabei berufen sie sich unter anderem auch auf das Völkerrecht. Denn das besagt, dass Staaten eine freiwillige und in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung der indigenen Völker benötigen, wenn sie Entscheidungen treffen, die Territorien von indigenen Völkern betreffen. Zugestimmt haben die beiden Völkergruppen nicht. 

Enertrag sieht das anders. Auf Anfrage heißt es von dem Unternehmen: »Hyphen führt fortlaufende Konsultationen mit den betroffenen Gemeinden, einschließlich der Nama Traditional Leaders Association«. Außerdem werde das Projekt gemäß der International Finance Corporation Performance Standards der Weltbank entwickelt, um »die höchsten sozialen und ökologischen Standards sicherzustellen«.

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Julia Dagg

Julia Dagg ist freie Journalistin. Sie hat Politikwissenschaften, Soziologie und Postkoloniale Theorien in Freiburg und London studiert.

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