Vor genau zwei Jahrhunderten, im Jahr 1825, erlegte der französische Staat Haiti einen Tribut auf, um vormalige Sklavenhalter für ihren Verlust an »Eigentum« zu entschädigen. Diese Schulden, die der fragile haitianische Staat bis in die 1950er Jahre mühsam zurückzahlen musste, haben die Entwicklung des Landes stark beeinträchtigt. Haiti ist heute einer der ärmsten Staaten der Welt. Alle Regime Frankreichs in den vergangenen 200 Jahren – Monarchien, Imperien und Republiken – haben diese Zahlungen dennoch weiterhin eingezogen; sie wurden ordnungsgemäß an die Caisse des Dépôts überwiesen. All dies ist Fakt, gut dokumentiert und völlig unumstritten.
Sagen wir es ganz offen: Frankreich schuldet Haiti in diesem Sinne heute rund 30 Milliarden Euro und Paris sollte unverzüglich Rückzahlungsgespräche aufnehmen. Das Argument, Frankreich könne sich eine solche Zahlung nicht leisten, ist nicht haltbar. Die Summe ist zwar beträchtlich, macht aber weniger als ein Prozent der Staatsverschuldung (3,3 Billionen Euro) beziehungsweise nicht einmal 0,2 Prozent der französischen Privatvermögen (15 Billionen Euro) aus. Wir sprechen hier von einem buchstäblichen Tropfen auf den heißen Stein.
Um Befürchtungen entgegenzutreten, das Geld könne veruntreut oder zweckentfremdet werden, könnte es in einen Sonderfonds für den Aufbau einer grundlegenden Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur in Haiti eingezahlt werden. Das schlagen die Länder der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) schon seit 2014 ausdrücklich vor. Der Vorschlag wird in einem bemerkenswerten Bericht des Centre for Reparation Research der University of the West Indies im jamaikanischen Kingston und der American Society of International Law aus dem Jahr 2023 weiter ausgeführt. Der Bericht – erstellt unter der Leitung von Patrick Robinson, dem jamaikanischen Ex-Vorsitzenden des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) sowie früheren Richter am Internationalen Gerichtshof – geht dabei über den Fall Haiti hinaus. Er ist das wohl bedeutsamste Dokument, das bisher zum Thema Reparationen im Zusammenhang mit Sklaverei veröffentlicht wurde. Seine gut mit Daten untermauerten Schlussfolgerungen wurden inzwischen von der Karibischen Gemeinschaft und der Afrikanischen Union offiziell übernommen. Die Tatsache, dass dieser Bericht in westlichen Ländern so wenig diskutiert wurde, ist ein Sinnbild für die alarmierend tiefen Gräben zwischen Globalem Norden und Globalem Süden.