Damit die Energiewende gelingt, müssen unsere Stromnetze bis 2045 rund doppelt so viel Strom transportieren wie heute. Die fossilen Energieträger, die derzeit den Großteil der Energie für den Verkehrs-, Wärme- und Industriesektor stellen, sollen künftig durch erneuerbaren Strom ersetzt werden. Dafür braucht es nicht nur neue Leitungen und Anschlüsse, sondern auch ein Netz, das auf dezentrale und schwankende Erzeugung ausgelegt ist. Der damit verbundene Investitionsbedarf von geschätzt 651 Milliarden Euro ist kaum überraschend. Betrieb und Investitionen werden bislang hauptsächlich über Netzentgelte als Bestandteil des Strompreises finanziert. Trotz Milliardengewinnen von Energiekonzernen wie Eon entschied sich der Bund, für das Jahr 2026 einen Zuschuss von 6,5 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds zu gewähren.
Angesichts der Größe der Herausforderung sind solche pauschalen Zuschüsse aus klimabezogenen Fonds nach dem Gießkannenprinzip wenig sinnvoll. Stattdessen braucht es langfristige Strategien, die sowohl den Anforderungen der Energiewende als auch den sozialen Folgen dieser Transformation gerecht werden. Neben öffentlicher Finanzierung ist vor allem ein neuer Regulierungsrahmen erforderlich, denn zentrale Elemente der bestehenden Regulierung stehen im Widerspruch zu den Anforderungen eines klimaneutralen und sozial gerechten Stromsystems. Genau dieser Regulierungsrahmen wird derzeit im sogenannten NEST-Prozess (»Netze. Effizient. Sicher. Transformiert.«) grundlegend überarbeitet. Dies ist ein wichtiger politischer Moment, in dem sich entscheidet, ob die Stromnetze künftig im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge gesteuert werden oder weiter einer marktlichen Effizienzlogik folgen.
Netze als natürliche Monopole – und die Folgen ihrer Regulierung
Da Aufbau und Betrieb von Stromnetzen enorme technische und finanzielle Ressourcen erfordern, wird ihr Betrieb – ähnlich wie bei Autobahnen oder der Wasserversorgung – als natürliches Monopol beschrieben. Jeder Netzbetreiber versorgt daher ein klar abgegrenztes Gebiet ohne lokale Konkurrenz. Über Jahrzehnte waren Netzbetrieb und Stromerzeugung in meist öffentlichen Unternehmen gebündelt. Mit der seit den 1980er-Jahren von der EU vorangetriebenen neoliberalen Umstrukturierung des Energiesektors änderte sich dies grundlegend: Netzbetrieb und Erzeugung wurden organisatorisch getrennt und teilweise privatisiert. Deutschlands Stromnetze sind heute ein Flickenteppich aus privaten, teilöffentlichen und kommunalen Besitzstrukturen. An die Stelle direkter staatlicher Steuerung trat ein Regulierungsmodell, das Wettbewerb simulieren soll.
Der Regulierungsprozess unter Aufsicht der Bundesnetzagentur erfolgt in zwei Schritten: Zuerst prüft die Behörde die Kosten der Netzbetreiber und legt die Verzinsung von Eigen- und Fremdkapital fest. Beides bestimmt die Erlösobergrenze – den Maximalbetrag, den ein Netzbetreiber über Netzentgelte einnehmen darf. Zusätzlich wird per Effizienzvergleich festgelegt, um wie viel die Kosten während der Regulierungsperiode sinken sollen. Im zweiten Schritt legt die Bundesnetzagentur fest, wie diese Erlöse von den Netznutzenden erhoben werden dürfen.
Was theoretisch effizient wirkt, erzeugt in der Praxis deutliche Fehlanreize: Da nur die Kosten des Basisjahres einer fünfjährigen Regulierungsperiode detailliert geprüft werden, ist es für Netzbetreiber attraktiv, diese zunächst zu erhöhen, um später Gewinne durch Einsparungen zu erzielen. Langfristige Investitionen in Qualität oder in den Anschluss erneuerbarer Energien bringen hingegen keinen unmittelbaren Vorteil. Das System belohnt damit Verwaltung im Fünfjahrestakt statt vorausschauenden Netzausbau. Betreiber agieren folglich eher als Verwalter einer renditeorientierten Infrastruktur denn als aktive Treiber der Energiewende.
Ungerechte Netzentgelte als strukturelles Problem
Umso problematischer ist, dass die Milliardengewinne der Netzbetreiber über regressiv gestaltete Netzentgelte finanziert werden: Je stärker ein Akteur das Netz belastet, desto geringer fallen die Entgelte pro genutzter Leistung aus. Dadurch tragen vor allem Haushalte einen überproportional hohen Anteil der Netzkosten, während die Industrie deutlich entlastet wird und Stromerzeuger nahezu gar nicht beteiligt sind.
