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Das Wirtschaftsmagazin

CO₂-Zertifikate als Menschenrecht an der Atmosphäre

Klimapolitisch gilt der Emissionshandel oft als nicht besonders effektiv. Doch mit einer Umgestaltung könnte er für eine gerechte Verteilung sorgen.

5 Minuten Lesedauer

Über den Emissionshandel ließe sich das Recht auf die Atmosphäre regulieren. Credit: IMAGO/Andreas Franke

Der 2005 in Europa eingeführte CO₂-Emissionshandel wurde von Beginn an kontrovers diskutiert. Kritisiert wurden vor allem instabile Preise und die deshalb fehlende Planbarkeit für die Unternehmen. Doch der Zertifikatehandel kann auch die Chance  bieten, ein Menschenrecht an der Atmosphäre zu verbriefen, die Umwelt damit wirklich zu einem Gemeinschaftsgut zu machen und so die notwendige ökologische Handlungsfähigkeit endlich zu ermöglichen.

Der Einsatz des Zertifikatehandels kann im Allgemeinen vor allem in denjenigen Bereichen sinnvoll sein, in denen Mengenauflagen beziehungsweise Verbote (wie etwa das von FCKW in den 1980er und 90er Jahren) nicht möglich oder nur mit großen Kosten umsetzbar sind, oder wo Steuerlösungen nicht sinnvoll sind, weil die ökologische Zielerreichung im Vordergrund steht, und nicht die Kostenkontrolle (Steuern legen den Preis fest und lassen die Menge flexibel). Beides ist grundsätzlich bei CO₂ der Fall. Der Emissionshandel deckelt die insgesamt zulässige jährliche Emissionsmenge, verbrieft das Recht auf Emission und verpflichtet die Unternehmen dazu, sich solche Rechte (Zertifikate) zu kaufen, wenn sie CO₂ emittieren wollen. Unternehmen, die kostengünstig CO₂ vermeiden können, weil sie zum Beispiel immer noch eine alte Filteranlage haben und sich einfach eine neue besorgen müssen, werden das tun. Unternehmen, für die eine Vermeidung sehr teuer wäre, weil sie naheliegende technische Möglichkeiten bereits ausgeschöpft haben, werden lieber Zertifikate kaufen. Das Instrument verspricht also, zielsicher (effektiv) und volkswirtschaftlich kostengünstig (effizient) die Emissionen zurückzufahren.

Die Tücken des geltenden Zertifikat-Systems

Durch die langfristig angekündigte – und damit für die Unternehmen planbare – Reduktion der Gesamtzahl an Emissionsrechten, steigt der Preis im Zeitverlauf, was die Einsparung von CO₂-Emissionen zunehmend lukrativer macht. Problematisch am europäischen Handelssystem – und daher auch heute immer wieder im Zentrum der Kritik – war in der Anfangszeit vor allem, dass der Zertifikatspreis lange Zeit deutlich zu niedrig war und erst ab 2017 nachhaltig anstieg. Die Gründe hierfür waren, dass die Obergrenze (der sogenannte »Cap«) nach der Einführung zunächst sehr hoch angesetzt wurde und zudem Zertifikate in großem Maßstab verschenkt wurden. Das hatte politische Motive: Es sollte die Durchsetzung erleichtern, dem von Unternehmen befürchteten Verlust an Wettbewerbsfähigkeit entgegenwirken sowie unternehmerischen und gewerkschaftlichen Widerständen zuvorkommen. Das kann man als Feigheit, erfolgreichen Lobbyismus der Industrie oder politischen Pragmatismus bezeichnen.

Ökonomen sind sich jedenfalls weitgehend einig, dass die Zertifikate versteigert werden sollten, um dadurch die jeweiligen Grenzkosten der Emissionsvermeidung als Maßstab des Preises möglichst genau zu treffen. Nur so kann die umweltpolitische Steuerungsfunktion uneingeschränkt realisiert werden und man vermeidet nebenbei auch sogenannte »windfall profits«, was bedeutet, dass die Unternehmen bei einer kostenlosen Vergabe ihre Opportunitätskosten (sie könnten die Zertifikate ja auch verkaufen) an die Kunden weitergeben, obwohl ihnen tatsächlich keine Kosten entstanden sind. Um die Planungssicherheit der Unternehmen zu stärken, spricht bei deutlichen Preisschwankungen zudem nichts dagegen, dass der Staat etwa mit Preisuntergrenzen oder mit der Entnahme/Zuführung von Zertifikaten interveniert. Der Staat kann bei technologischen Neuerungen, die die Emissionen dauerhaft erheblich mindern, auch das Cap außerplanmäßig reduzieren, um den Preis stabil zu halten.

Manchen Menschen ist die Tatsache, dass man sich beim Zertifikatehandel der Hilfe der Marktmechanismen bedient, bereits verdächtig. Eine etwas andere Perspektive bot der 2019 verstorbene Jurist Fritz Andres, der die Idee eines menschenrechtlichen Anspruchs auf gleiche Teilhabe an den Umweltgütern verfolgte. Seine Grundidee war, die Atmosphäre als gemeinsames Gut zu verstehen, das allen Menschen gleichermaßen gehört. Den Emissionshandel sah er dabei als Möglichkeit, jedem Menschen einen quantitativen Anteil an der Atmosphäre zuzuweisen, ein »CO₂-Budget«, das über Nutzungs-Zertifikate abgebildet wird. So wird das Recht auf saubere Luft und stabile Klimabedingungen ökonomisch dargestellt und durch Handel geschützt. 

Gerechte Umverteilung beim Klima

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Daniel Mühlleitner

Daniel Mühlleitner ist Professor für Volkswirtschaftslehre und öffentliche Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl.

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