Die Klimakrise ist im Kern eine Energiekrise. Durch das Verbrennen fossiler Energieträger – Kohle, Öl, Gas – wird CO₂ freigesetzt und der Treibhausgaseffekt angeheizt. Die Frage, wie und wie viel Energie wir produzieren, entscheidet, für wie viele Menschen der erhitzte Planet noch bewohnbar sein wird. Die gute Nachricht: Der Ausbau grüner Energie geht voran. Im Jahr 2024 stammten fast 60 Prozent des in Deutschland eingespeisten Stroms aus erneuerbaren Energien. Diese werden im Schnitt auch immer billiger, was sie zu Konkurrenten fossiler Energien macht. Gleichzeitig regt sich ein »Backlash« der fossilen Industrie. Donald Trump selbst startete seine Präsidentschaft unter dem Motto »Drill, baby, drill« – er möchte mehr Öl und Gas fördern, um Energiepreise zu drücken.
Angesichts dieser Entwicklungen kann es so wirken, als stünden sich zwei Energieregime gegenüber: Erneuerbare auf der einen, Fossile auf der anderen Seite. Doch die Realität ist komplizierter. Das Denken über die Energiewende und die Klimatransformation ist von lauter falschen Vorstellungen und Mythen geprägt: Erst kürzlich kündigte der Chef der Internationalen Energieagentur einen bevorstehenden Epochenwechsel an. Das Zeitalter der sauberen Elektrizität würde Öl und Kohle ablösen. Doch diese Vorstellung eines Wechsels von einem Energieregime in das andere vermittelt ein falsches Verständnis der Klimatransformation.
Historisch verwoben
Der Historiker Jean-Baptiste Fressoz zeigt in seinem Buch More and More and More auf, dass verschiedene Energiesysteme sich historisch nicht ablösen. Die Kohle verschwand nicht, nachdem das Öl entdeckt wurde. Er entkräftet gängige Transitionsnarrative, die die Weltgeschichte in unterschiedliche energetische Zeitalter einteilen. Laut Fressoz habe es historisch keine Energiewende gegeben, sondern lediglich eine Addition von Energiesystemen. Als etwa Kohle zunehmend ausgebaut wurde, sei auch immer mehr Holz genutzt worden, um die Schächte der Minen zu stützen.
Fressoz erklärt, dass das Argument der bevorstehenden grünen Energiewende – ermöglicht durch den technischen Fortschritt – in der jüngeren Gegenwart oft dazu diente, eine tatsächliche radikale Transformation zu verhindern. Vorschläge wie Degrowth oder eine Diskussion um die zu hohe Nachfrage nach Energie und die Verteilung knapper Ressourcen wurden durch das technische Versprechen der bevorstehenden Transformation ausgehebelt. Fressoz schließt zwar nicht aus, dass es eine Umstellung hin zu erneuerbaren Energien geben kann, macht aber darauf aufmerksam, dass eine schnelle Wende weg von einem bestimmten Energieträger zu einem anderen bisher noch nie geglückt ist.
Ein prägnantes Beispiel für diese falschen Narrative rund um Energiewenden und den zugrunde liegenden Trend der Energie-Addition ist die heutige Holznutzung. Der Verbrauch von Biomasse, also Energiequellen aus pflanzlichem oder tierischem Ursprung, steigt massiv an, da sie als erneuerbar gilt. In der Theorie kann Wald gerodet werden, um dann wieder nachzuwachsen. Doch der steigende Holzbedarf trägt dazu bei, dass sich die Wälder nicht schnell genug regenerieren können. Im Jahr 2023 gab es erste Anzeichen, dass die natürliche CO₂-Speicherkapazität der Böden, Wiesen und Wälder abnimmt. Bricht diese wichtige Kohlenstoffsenke weg, kann nicht mehr die Rede davon sein, dass Holz eine erneuerbare Energie ist.
Die Energiewende baut also auf einen Träger, der laut Geschichte längst in den Hintergrund gerückt sein soll. Holz wurde angeblich von Kohle und Öl ersetzt, die nun wiederum von erneuerbaren Energieträgern ersetzt werden sollen. In Wahrheit wird der Holzverbrauch immer größer – und ob seine Nutzung als Energieträger tatsächlich erneuerbar ist, ist eine Frage der Implementation.