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Das Wirtschaftsmagazin

KI frisst weniger Jobs als gedacht – doch schafft sie neue?

KI erschwert den Berufseinstieg, frisst jedoch weniger Jobs als erwartet. Die Politik muss trotzdem handeln.

4 Minuten Lesedauer
Collage: Surplus, Material: SebastianLock, Louise Viallesoubranne

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Die drei wichtigsten News der letzten zwei Wochen

  1. Google gesteht Wettbewerbsverstöße in Australien
    In einem laufenden Verfahren hat Google zugegeben, dass es wettbewerbswidrige Klauseln in Verträgen mit Partnern genutzt hat, um die Vormachtstellung der Google-Suche zu sichern. Die australische Wettbewerbs- und Verbraucherkommission (ACCC) sieht darin illegale Marktbeherrschung. Über die Strafe wird noch entschieden.
    Wichtig, weil: Einer der mächtigsten Konzerne der Welt muss einräumen, den Wettbewerb manipuliert zu haben. Das wirft auch für Europa die Frage auf: Wie oft passiert ähnliches im Hintergrund – und wie schwach sind staatliche Regulierungsinstrumente dagegen?
  2. Großbritannien zieht »Backdoor«-Forderung zurück
    Apple sollte britischen Behörden per Schnittstelle Zugriff auf iMessage und FaceTime geben. Nach massivem Widerstand und Druck der USA ruderte die britische Regierung jetzt zurück. Bürgerrechtsgruppen warnen aber: Die rechtliche Grundlage für einen solchen Zugriff bleibt bestehen.
    Wichtig, weil: Selbst wenn Apple diesen Sieg einfährt, zeigt der Fall, wie schnell Regierungen Verschlüsselung angreifen können. Sicherheit hängt also nicht nur von Technik ab, sondern auch davon, wie standhaft Politik und Unternehmen bleiben.
  3. Big Tech verkauft »AI for Good« in Afrika
    Google, Microsoft und Meta investieren Millionen in KI-Projekte für Gesundheit, Klima und Katastrophenvorsorge. Google eröffnete in Ghana ein KI-Zentrum und versprach 37 Millionen Dollar für soziale Programme. Kritiker sehen jedoch die Gefahr wachsender digitaler Abhängigkeit.
    Wichtig, weil: Unter dem Label »AI for Good« entsteht ein neuer Hebel, um Märkte und Datenströme im globalen Süden zu kontrollieren. Hilfe und Abhängigkeit liegen hier oft gefährlich nah beieinander.

Thema der Woche:
»Wer in Deutschland vor KI-Jobverlusten warnt,schaut mehr nach Kalifornien als auf unseren eigenen Arbeitsmarkt.«


In den USA wird längst offen darüber gesprochen, dass Künstliche Intelligenz ganze Berufszweige wegräumen könnte. Ein führender KI-CEO warnte kürzlich, dass bis zur Hälfte aller White-Collar-Einstiegsjobs verschwinden und die Arbeitslosenquote spürbar steigen könnte. Und die Zahlen deuten darauf hin, dass er nicht übertreibt: Die Arbeitslosenquote unter College-Absolventinnen und Absolventen liegt inzwischen bei 5,8 Prozent – deutlich höher als die nationale Quote von rund 4 Prozent (Fortune).

Für junge Menschen bedeutet das: Was früher als selbstverständlich galt – der erste Job nach dem Abschluss, die Chance, in einem Unternehmen Fuß zu fassen – die berühmte »Lernkurve im Betrieb« – wird heute seltener. KI ersetzt nicht den Job ganz oben – sie sägt an der ersten Sprosse. Rechercheaufgaben, Assistenztätigkeiten, Marketing-Support oder Kundenservice sind längst nicht mehr der Türöffner ins Berufsleben. Sie sind das Spielfeld von KI-Systemen, die Tag und Nacht laufen und nie nach einer Gehaltserhöhung fragen. Für viele Absolventinnen und Absolventen ist der Berufseinstieg damit kein Sprungbrett mehr, sondern eine unsichere Wette gegen den Algorithmus. Wer Pech hat, verliert gleich im ersten Zug. Die klassische Karriereleiter wirkt in den USA gerade so, als hätte jemand die unteren Stufen abgesägt. Besonders in der Kreativ- und Kulturbranche zeigt sich das deutlich: Aufträge verschwinden, weil KI Bilder, Texte oder Musik billiger liefern kann. Erste Stimmen fordern deshalb öffentliche Förderung, damit Kunst und Kultur nicht vollends unter die Räder geraten.

Und Deutschland? Auch hier zeigt sich der KI-Effekt: Besonders betroffen sind technische Mediengestaltung (zum Beispiel Grafikdesign), Softwareentwicklung, Informatik, Mathematik und Biologie. Auch klassische Bereiche wie Logistik – Lager, Post, Zustellung – sowie Verkauf und Handel verzeichnen steigende Arbeitslosigkeit. Studien zeigen zudem, dass vor allem Freelancer in Schreib- und Kreativjobs Auftragsrückgänge spüren. 

Doch schafft KI auch neue Jobs? Ja, aber vor allem in hochspezialisierten Bereichen wie Data Science oder KI-Management. Für viele klassische Einstiegspositionen dagegen schrumpfen die Chancen und genau dort wird der Arbeitsmarkt spürbar ungleicher.

Die nüchterne Bilanz: Eine Analyse der Bertelsmann Stiftung hat 60 Millionen Online-Stellenanzeigen zwischen 2019 und 2024 ausgewertet. Der Anteil expliziter KI-Stellen liegt seit Jahren konstant bei rund 1,5 Prozent, seit 2022 sogar leicht rückläufig. Weder von einem Boom noch von einem Crash ist bislang etwas zu sehen – die Angst läuft den Fakten voraus.

Die Befunde machen deutlich: Der fehlende Beschäftigungseffekt von KI ist kein technisches Versagen, sondern Ausdruck struktureller Schwächen. Genannt werden insbesondere die geringe Investitionsbereitschaft kleiner und mittlerer Unternehmen, eine unzureichende digitale Infrastruktur und rechtliche Unsicherheiten. Trotz eines Anstiegs von KI-Jobs von über 100 Prozent bis 200 Prozent in einzelnen Branchen wie Landwirtschaft oder Bildung entfällt hierzulande bislang nur rund 1,4 Prozent aller Stellenanzeigen auf KI-bezogene Jobs. Deutschland bleibt damit im internationalen Vergleich zurück. Diese Hindernisse bremsen das Potenzial von KI auf dem Arbeitsmarkt und verhindern eine breitflächige, spürbare Expansion neuer Berufsbilder.

Deutschland führt Zukunftsdiskussionen – auf dem Fundament von Gestern

Auch beim Thema Weiterbildung zeigt sich eine gravierende Lücke: Laut Bitkom schult nur jedes fünfte Unternehmen größere Teile seiner Belegschaft im Umgang mit KI, die Hälfte bietet gar keine entsprechenden Programme an. Damit bleibt der Einsatz von KI in vielen Betrieben ohne Qualifikationsstrategie.

Hier ist auch die Politik gefragt, um institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Unternehmen zu unterstützen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen zeigen erhebliche Unsicherheit im Umgang mit KI. Oft fehlt die Orientierung, in welchen Geschäftsbereichen die Technologie sinnvoll eingesetzt werden kann. Dazu kommt ein Mangel an Beratungs- und Unterstützungsangeboten, der verhindert, dass wirtschaftliches Potenzial erschlossen wird.

Ein weiterer Flaschenhals ist die digitale Infrastruktur. Deutschland spricht über KI, während in vielen Regionen schon eine stabile Zoom-Konferenz zur Herausforderung wird. Ohne Glasfaser und verlässliche Netze bleibt KI in weiten Teilen des Landes Theorie. Hinzu kommt eine Regulierungslandschaft, die viele Unternehmen abschreckt. Anstatt Anwendungsmöglichkeiten mutig auszuloten, dominiert die Angst vor rechtlichen Fallstricken. Solange Regeln nicht praxistauglich sind, bleibt KI für viele Betriebe ein Projekt auf PowerPoint-Folien.

Auch das Bildungssystem hinkt hinterher. Weder Schulen noch Hochschulen vermitteln KI-Kompetenzen in ausreichendem Maß. Wer international mithalten will, braucht aber ein Update in Lehrplänen und Studiengängen – von der schulischen Grundbildung bis zur beruflichen Weiterbildung.

Am Ende zeigt sich ein klares Bild: KI könnte in Deutschland auch Jobs schaffen. Die Probleme liegen in fehlender Weiterbildung, mangelhafter Infrastruktur, unklarer Regulierung und veralteter Ausbildung. Jobs mit direktem KI-Bezug werden bisher schlicht nicht in dem Umfang nachgefragt, wie man es von der disruptiven Zukunftstechnologie erwarten würde. Weder ein breiter Jobboom noch ein massives KI-bedingtes Jobsterben sind in Sicht. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Rahmenbedingungen aktiv zu gestalten und weniger darin, sich vor der Technologie zu fürchten.

Während in den USA bereits spürbare Arbeitsmarkteffekte sichtbar sind, bleibt Deutschland bislang vor allem im Modus der Projektion. Wir übernehmen die Angst – ohne dass die Verhältnisse sie schon rechtfertigen. Ob wir jemals in amerikanische Zustände geraten, hängt weniger von der Technologie selbst ab als von der Frage, ob wir unsere Hausaufgaben endlich machen.


Cliffhanger der Woche

Beim Notting Hill Carnival wollte die Polizei Gesichtserkennung einsetzen, doch Kritikerinnen und Kritiker warnen vor rassistischen Fehlidentifikationen. Ausgerechnet auf einem Festival Schwarzer Kultur wird die Technik zur Kontroverse.
Kommt der Einsatz – oder kippt er noch?


Bis zur nächsten Woche,

Aya Jaff

Aya Jaff

Aya Jaff ist Autorin, Unternehmerin und die »bekannteste Coderin Deutschlands«. Sie war Teil von Forbes 30 under 30 und schreibt bei Surplus die Kolumne »Code & Capital« .

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

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