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Das Wirtschaftsmagazin

»Das 3,5-Prozent-Ziel ist nicht notwendig.«

In den nächsten Jahren ­werden Hunderte Milliarden für Rüstung ausgegeben. Allein eine effizientere Beschaffung könnte die Hälfte einsparen.

8 Minuten Lesedauer

Credit: IMAGO/photothek

Der Friedens- und Konfliktforscher Michael Brzoska ist emeritierter Professor der Universität Hamburg und leitete bis 2016 das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Als Senior Fellow forscht er weiter zur Rüstungsindustrie. Im Interview mit Max Hauser erklärt er, wieso die Beschaffung so ineffizient ist und wie sich mit Diplomatie viel Geld sparen lässt.

Max Hauser: Herr Brzoska, vor bald vier Jahren wurde vom Kanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ausgerufen. Er legte ein Bundeswehr-Sondervermögen auf, sein Nachfolger Friedrich Merz hebelte die Schuldenbremse für Verteidigung aus. Warum muss Deutschland überhaupt aufrüsten?

Michael Brzoska: Der erste Grund ist, dass die Bundeswehr über lange Jahre nur für Auslandseinsätze ausgerüstet war, die in der Regel nicht so groß waren, wie heute ein möglicher Krieg in Europa werden könnte. Zweitens war die Ausrüstung auf militärisch unterlegene Gegner ausgerichtet. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine besteht nun Bedarf, die Bundeswehr auf höherem Niveau auszurüsten. 

Sollte es darum gehen, verteidigungsfähig zu werden oder gar »kriegstüchtig«, wie das der Verteidigungsminister forderte?

Der Begriff »kriegstüchtig« ist missverständlich, denn es wird damit nicht klar, auf was für einen Krieg man vorbereitet sein will. »Verteidigungsfähig« passt viel besser, denn nur das ist völkerrechtlich zulässig. Deutschland sollte im Rahmen des Bündnisses verteidigungsfähig sein, aber es kann nicht unser Ziel sein, überall in der Welt Krieg führen zu können. Das macht auch wirtschaftlich einen großen Unterschied.

Die Verteidigungsausgaben sind bereits kräftig angestiegen, von 46 Milliarden Euro noch in 2021 auf 86 Milliarden Euro in diesem Jahr. Doch vielen geht das noch nicht weit genug. Das Nato-Ziel von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt circa 150 Milliarden Euro jährlich. Warum braucht es so viel Geld?

Ich bin kein Freund dieser großen Zahlen. Diese Summen sind weder in militärischer noch in sicherheitspolitischer Hinsicht notwendig. Zudem verführt das viele Geld zur Verschwendung, während es an anderen Stellen fehlt. Wenn die europäischen Nato-Mitgliedstaaten 3,5 Prozent ihres BIPs für Verteidigung ausgeben, führt das auch ohne die USA zu einer substanziellen militärischen Überlegenheit gegenüber Russland. Das scheint mir weder nötig zu sein, noch fördert es die sicherheitspolitische Stabilität. Russland könnte sich etwa genötigt fühlen, weiter nuklear aufzurüsten. In diesem Bereich mitzuhalten, ist nicht wünschenswert und erhöht die Kriegsgefahr. Das 3,5-Prozent-Ziel hat keine solide sicherheitspolitische Grundlage, es ist vereinbart worden, um dem US-amerikanischen Präsidenten zu gefallen.

Wie genau wird dieses Geld für neue Rüstungsgüter ausgegeben? 

Die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium leiten aus ihren Szenarien und Bedrohungsanalysen im Einklang mit den Nato-Fähigkeitszielen ab, was sie an Waffensystemen beschaffen wollen. Welche Fähigkeiten bestehen und welche Lücken ergeben sich im Verhältnis zum politischen Auftrag? Die konkreten Vorhaben mit technischen Details werden mit dem Beschaffungsamt der Bundeswehr (BAAINBw) ausgearbeitet. Letzteres schreibt dann einen Auftrag aus oder vergibt ihn freihändig an ausgewählte Rüstungsfirmen, soweit das im Einklang mit Vergaberichtlinien vereinbar ist. Abschließend wird der Auftrag an den Anbieter vergeben, der das im Verhältnis zur Leistung günstigste Angebot abgegeben hat. Während zum Beispiel kleine Direktaufträge bis 5.000 Euro von Bundeswehr-Kommandeuren eigenständig vergeben werden können, landen größere Vorhaben über 25 Millionen Euro als Beschlussvorlage im Haushaltsausschuss des Bundestags. 

Wie nimmt die Politik hier Einfluss? 

Insbesondere die Abgeordneten, die im Haushaltsausschuss für Beschaffungsfragen zuständig sind, haben Gewicht, in geringerem Maße auch der Verteidigungsausschuss. Das führt dazu, dass nicht nur die militärischen Interessen eine Rolle spielen, sondern auch die Interessen der Abgeordneten, die mit Rüstungsfirmen in ihren Wahlkreisen zu tun haben. Dann kommt insbesondere bei den Großprojekten noch das Interesse der Außen- und Sicherheitspolitik hinzu. Beschafft man Waffensysteme in den USA oder gemeinsam mit anderen europäischen Staaten wie Frankreich und Großbritannien? Insofern spielt die geopolitische Strategie neben dem, was das Militär und das Parlament wollen, eine wichtige Rolle.

Rüstungsvorhaben erzeugen vor allem durch Verspätungen, Verteuerungen und Defekte negative Aufmerksamkeit. Was sind die strukturellen Gründe dafür?

Dahinter steckt oft der deutsche Wunsch nach »Goldrandlösungen«. Das heißt, man kauft Ideen, Blaupausen oder bestenfalls Prototypen von Waffensystemen, die es noch gar nicht gibt, die aber möglichst viel leisten sollen. Es lässt sich nur sehr grob abschätzen, wie lange es dauert und wie teuer es wird, diese zu beschaffen. Dann stellt sich im Laufe der Forschung und Entwicklung und des Produktionsprozesses heraus, dass alles viel teurer wird. Zweitens liegt das daran, dass die Anbieter die Preise zu niedrig ansetzen, um ihre Chancen auf Auftragserteilung zu vergrößern. Hinzu kommt drittens, dass die Bundeswehr selbst bei marktverfügbaren Waffensystemen auf besondere Ausrüstung und Extras bestanden hat, eine sogenannte »Germanisierung«. Da die Bundeswehr seit der Zeitenwende mehr marktverfügbare Waffensysteme kauft – insbesondere aus den USA, die diese Germanisierung ablehnen –, ist dieses Problem nicht mehr ganz so groß wie davor. 

In einem Gutachten für Greenpeace gehen Sie bei der Beschaffung von vermeidbaren Mehrkosten zwischen 35 und 54 Prozent aus. Wie kommen Sie auf diese Zahlen?

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Max Hauser

Max Hauser ist Politökonom und Redakteur bei Surplus. Er hat Volkswirtschaftslehre in Berlin, Rom und Paris studiert.

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