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Das Wirtschaftsmagazin

New York: Die extreme Ungleichheit der Weltmetropole

Zohran Mamdani könnte Bürgermeister von New York werden. Wie die Stadt ökonomisch aufgestellt ist, analysiert Adam Tooze.

7 Minuten Lesedauer
Collage: Surplus Material: IMAGO / Anadolu Agency

Für viele ist New York City nach wie vor die Stadt der Städte. Im 20. Jahrhundert stand New York für eine neue Art des urbanen Lebens – atemberaubende Hochhäuser, eine außergewöhnliche Mischung von Menschen aus aller Welt, extremer kapitalismusinduzierter Reichtum und Dynamik. Im Vergleich zu ausufernden Megastädten wie Mexiko-Stadt oder Shanghai ist NYC auch heute noch ein relativ kompakter urbaner Raum. Seine sich überlagernden Schichten architektonischer und infrastruktureller Geschichte stehen sinnbildlich für ein »klassisches« Stadterlebnis mit massiver Verdichtung und Modernität – inklusive seiner Nebenerscheinungen in Form von Verwahrlosung, Schmutz und Ratten. Wer in New York City ist, versteht geradezu instinktiv, wie Seuchen (und Rebellionen) entstehen können. Jeder, der einmal dort gelebt hat, weiß, dass die Stadt augenscheinlich Momente erlebt, in denen riesige Menschenmassen synchron zu oszillieren scheinen. Mit seinen Top-Universitäten und -Medien ist New York ein intellektuell, kulturell und politisch dynamisch-wuseliger Ort. NYC scheint zu jeder Zeit in der Lage, intensive Diskurse und echte Überraschungen zu schaffen.

Hoffnung der Linken: Zohran Mamdani

In einer solchen Stadt sollte man immer das Unerwartete erwarten. Trotzdem gab es kürzlich eine wirkliches Ereignis. Mitten in der Rede des chinesischen Premierministers Li Qiang auf dem sommerlichen Davos-Treffen in Tianjin wandten sich Hunderte Delegierte plötzlich ihren Handys zu. Alle lasen sie die Nachricht, dass Zohran Mamdani die Vorwahlen der Demokratischen Partei für das Bürgermeisteramt von New York City gewonnen hatte. Damit dürfte der demokratische Sozialist voraussichtlich der zukünftige Bürgermeister von New York werden, dem Zentrum des globalen Kapitalismus und der Hauptstadt des Dollarsystems.

Nun wird viel über die Ursachen für Mamdanis deutlichen Sieg gegen Ex-Gouverneur Andrew Cuomo diskutiert. Allerdings könnte man sagen, dass die »Überraschung« in Wirklichkeit überfällig war. Darüber haben Cameron Abadi und ich in einem (zugegebenermaßen etwas Jetlag-geplagten) Podcast kurz nach der Vorwahl gesprochen.

Zunächst: Mamdani ist ein brillanter Kandidat. Er trat gegen das wirklich grauenhafte Establishment der Demokratischen Partei in New York an. Er vertritt progressive, manche würden sagen radikale, aber offensichtlich vernünftige Positionen zu allen erdenklichen Themen, von der New Yorker U-Bahn bis hin zu Israel/Gaza. Die Mehrheit der New Yorker Wählerschaft und mehrere seiner Konkurrenten – insbesondere Brad Lander – sind ihrerseits klug und anständig genug, Mamdani für seinen gesunden Menschenverstand zu respektieren und haben entsprechend auf seinen Wahlsieg reagiert. Darüber hinaus ist New York City einfach kein Ort, an dem parteipolitische Massenkonformität erwartet wird: Mamdani trat mit einem progressiven Programm an, insbesondere mit Blick auf die Bereiche Mieten, Steuern, öffentlicher Nahverkehr, Kinderbetreuung. Damit spricht er die für viele Menschen deutlich spürbare Lebenshaltungskostenkrise in der Stadt an. Manche werden nun versuchen herauszufinden, ob Mamdanis Position zur Mietpreisbindung letztlich entscheidend war und vielleicht nicht seine Haltung zu Gaza. In jedem Fall scheint Mamdani aber ein Kooperationsnetz aufgebaut zu haben, das vor allem in der »mittleren Einkommensschicht« – die in NYC bei einem Jahreseinkommen von grob 60.000 bis 150.000 Dollar liegt – gut abschneidet.

Auffällig ist indes, dass er in den überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtteilen (die in vielen Fällen auch einkommensschwache Bezirke sind) weniger Zustimmung erfahren hat.

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Adam Tooze

Adam Tooze ist Herausgeber von Surplus und Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Columbia University in New York.

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