Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch »Die Ökonomie des Hasses« von dem Ökonomen und Journalisten Alexander Hagelücken. Das Buch erscheint im September im Dietz-Verlag.
Alice Weidel sagt gerne, dass sie sich um die Deutschen sorgt. Schon 2019 fühlte sie in einem Facebook-Post mit Menschen, die »am Existenzminimum« herumkrebsen. Auch die Mittelschicht sei nicht mehr krisenfest, warnte die AfD-Chefin. »Die Mittelschicht als Motor unserer Gesellschaft muss entlastet werden und ihre Leistungen müssen finanziell besser honoriert werden. Blutet sie aus, stirbt Deutschlands starkes Rückgrat!« Das AfD-Programm zur Bundestagswahl 2025 hat ein ganzes Kapitel mit der Überschrift: Arbeit muss sich lohnen – Niedriglohnsektor und Mittelstand entlasten. Darin finden sich in der Tat mehrere Steuervorschläge, von denen Niedrigverdiener und die Mitte der Gesellschaft finanziell profitieren würden. Etwa, den Grundfreibetrag an Einkommen deutlich anzuheben, auf den man keine Steuern zahlen muss. Und die Einkommensgrenzen nach oben zu verschieben, ab denen höhere Steuersätze gelten. Das Gesamtergebnis dieser Vorschläge ist allerdings überraschend anders.

Alexander Hagelüken: Die Ökonomie des Hasses
Wie Rechte von Trump bis AfD unseren Wohlstand zerstören und wie man ihre Wähler zurückholt. September 2025, Dietz-Verlag.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat mit einem Kollegen der Süddeutschen Zeitung und mir die Wahlversprechen der Parteien durchgerechnet. Das ZEW, eines der führenden Forschungsinstitute, konzentriert sich dabei auf die Wahlversprechen, deren Wirkung auf jeden Bürger sich genau quantifizieren lässt – wie die Vorschläge zu Steuern, Klimageld und Mindestlohn. Die Rechnungen zeigen: Von diesen AfD-Vorschlägen profitieren nicht Niedrigverdiener am stärksten, die laut Weidel »am Existenzminimum« herumkrebsen. Und auch nicht die Mittelschicht, das laut Weidel vom Tod bedrohte »Rückgrat Deutschlands«. Am meisten profitieren Topverdiener – in der Studie sind das Menschen in Haushalten, die mehr als 12.000 Euro brutto im Monat verdienen.
Die berechneten Wahlversprechen der AfD würden diesen Topverdienern jährlich 8 Prozent ihres bisherigen Verdiensts mehr an Geld verschaffen. Acht Prozent mehr verfügbares Einkommen, das ist ein Vielfaches von dem, was die AfD für Niedrigverdiener und größere Teile der Mittelschicht vorsieht. Wer bis 4.500 Euro monatlich verdient, das sind deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen, soll nur 0 bis 3 Prozent seines Einkommens mehr an Geld bekommen – meist nur ein paar Hundert Euro pro Jahr. Selbst wer aus der Mittelschicht deutlich mehr verdient, schneidet schlechter ab als die Topverdiener. Topverdienern, die 12.000 bis 20.000 Euro im Monat verdienen, verspricht die AfD im Schnitt ein finanzielles Plus von 9.000 Euro im Jahr.
Andere wollen die Mittelschicht und Niedrigverdienende entlasten
Die vergangenen Jahre haben die Deutschen finanziell belastet. Erst kam die Corona-Krise, dann die Inflationswelle durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Einkommensverluste mischten sich mit Jobängsten. Dazu kam die Unsicherheit über die Zukunft, weil vergessen geglaubte Pandemien genauso nach Europa zurückgekehrt sind wie der Krieg. Es ist eine schräge Reaktion der AfD auf diese Jahre, ausgerechnet jene finanziell besonders zu entlasten, die schon mehr als 12.000 Euro im Monat verdienen. Es geht auch anders: SPD, BSW, Linke oder Grüne stellen in ihren Programmen vor allem die Mittelschicht und Niedrigverdiener besser. Und wollen sich das Geld dafür teils bei den Topverdienern holen.
Es spricht einiges dafür, steuerlich besonders die Mittelschicht besserzustellen – und Niedrigverdiener, die wenig Steuern zahlen, durch andere Maßnahmen wie einen höheren Mindestlohn zu unterstützen. Denn Topverdiener und Reiche haben schon von den neoliberal inspirierten Steuersenkungen der vergangenen Jahrzehnte am meisten gehabt: etwa davon, dass Kapitaleinnahmen in der Regel nicht mehr mit bis zu 45 Prozent besteuert werden, sondern nur etwa halb so hoch. So zahlen Millionäre auf ihre Zinsen viel weniger als früher. Auch davon, dass die Erbschaftsteuer mit Ausnahmen durchlöchert und die Vermögensteuer gestoppt wurde, hatten Reiche am meisten. Genauso, wie besonders Topverdiener davon profitieren, dass der Spitzensatz der Einkommensteuer reduziert wurde.
Währenddessen rutschen immer mehr Menschen aus der Mittelschicht in den Spitzensatz, den früher nur wirkliche Großverdiener zahlten. Heute reicht es aus, knapp 6.000 Euro im Monat zu verdienen, das gut 1,5-Fache eines Durchschnittsgehalts, um unter den Spitzensteuersatz zu fallen. Das trifft schon viele Facharbeiter. In den 1960er-Jahren musste man noch das 18-Fache des Durchschnittsgehalts verdienen, um den Spitzensatz zu zahlen – das traf wirklich nur Topverdiener.
Keine Entlastung der Menschen bei Inflation und Stagnation
Mehr Gerechtigkeit ist der eine Grund dafür, statt die Topverdiener lieber die breite Masse zu entlasten. Der andere ist die wirtschaftliche Stagnation, sagt mir der Finanzwissenschaftler Achim Truger, der an der Uni Duisburg-Essen lehrt: »Die wirtschaftliche Flaute liegt auch daran, dass der Konsum sich nur schwach entwickelt. Deshalb wäre es sinnvoll, die Massen zu entlasten, nicht wenige Topverdiener.«
Abonniere unseren kostenlosen Newsletter, um diesen Text weiterzulesen:
Zum NewsletterGibt’s schon einen Account? Login