Eine grundlegende Transformation ist notwendig, um die Lebensgrundlagen der Menschen zu sichern. Im Interview mit Surplus erklärt Matthias Schmelzer, Professor für sozial-ökologische Transformationsforschung, wie Klassenunterschiede und Klimapolitik zusammenhängen – und wie Degrowth solidarisch gestaltet werden kann.
Eine Transformation in der Wirtschafts- und Klimapolitik ließ sich in den vergangenen Jahren kaum beobachten – was ist da los?
Wir sehen eine krasse Diskrepanz zwischen dem, was notwendig wäre, und dem, was real passiert. Auf dem Papier ist »Transformation« überall, etwa in Regierungsprogrammen, Unternehmensstrategien oder Förderlinien. Aber in der gesellschaftlichen Realität ist der Wandel oft blockiert, auf technologische Lösungen verengt oder von autoritären Rückschlägen überlagert. Der Transformationsfonds wurde uns von der Ampel als grünes Projekt verkauft, jetzt werden damit auch der Ausbau fossiler Infrastruktur und niedrige Energiepreise für die fossile Industrie finanziert.
Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe. Die gängigen Strategien setzen vor allem auf grüne Modernisierung und somit auf Effizienzsteigerung, Innovation und CO₂-Bepreisung. Das zugrunde liegende Wachstumsmodell wird dabei nicht ernsthaft infrage gestellt. So wird die soziale und ökologische Wucht des notwendigen Umbaus ausgeblendet.
Außerdem ist die Gesellschaft strukturell träge. Die imperiale Lebensweise mit dem gesellschaftlichen Ideal von Auto, Urlaubsflug, Einfamilienhäusern und Fleischkonsum, aber auch gesellschaftliche Infrastrukturen und Institutionen vom Sozialstaat bis zum Finanzsystem – all das basiert grundlegend auf der Verfügbarkeit billiger und dichter, fossiler Energie und auf Wirtschaftswachstum. Ein Großteil der Bevölkerung baut auf dieses Versprechen von Wohlstand und Stabilität, was aber langfristig nicht haltbar ist.
Letztlich ist der Umgang mit der ökologischen Krise häufig technokratisch, marktfixiert und sozial blind. Anstatt Wandel als soziale Verbesserung zu gestalten, wird Klimapolitik oft als moralischer Appell oder technisches Problem behandelt. Das erzeugt Abwehr, vor allem bei sozial benachteiligten Menschen.
Sie haben zu diesem Thema das Buch Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt veröffentlicht. Was ist neu an dem von Ihnen beschriebenen Klassenkonflikt?
In der Debatte um Klimaschutz wurde lange davon ausgegangen, dass sich das gesellschaftliche Konfliktmuster entlang klassischer Ungleichheiten sortiert. Wer prekär lebt, lehnt Veränderung ab, wer privilegiert ist, unterstützt sie. Daher auch die Kritik, dass die Klimapolitik die soziale Frage vergessen würde. Unsere empirische Forschung zeigt aber, dass diese Annahme zu einfach ist.
Denn der Widerstand gegen Klimapolitik ist in den letzten Jahren nicht primär dort gewachsen, wo Armut herrscht, sondern vor allem in der gesellschaftlichen Wohlstandsmitte. Es sind vor allem die gesellschaftlichen Gruppen, deren Status auf Eigentum und nicht auf Bildung basiert, und die seit der Merkel-Ära von Wachstum profitiert haben, bei denen die Ablehnung von Klimapolitik zugenommen hat. Jetzt sehen sie ihre materielle Lebensweise, etwa das Eigenheim, den SUV, den Flug in den Süden oder den Fleischkonsum, durch ökologische Maßnahmen bedroht.
Wie steht es um den Rest der Gesellschaft?
Vereinfacht gesagt zeigt unsere Forschung eine Dreiteilung der Bevölkerung. Es gibt eine klimapolitisch überzeugte ökosoziale Gruppe, die oft einen hohen Bildungsgrad hat. Ihr gegenüber steht eine von der Veränderung überforderte Gruppe, die für autoritäre Angebote aufgeschlossen ist – wir bezeichnen sie als das defensiv-reaktive Spektrum. Politisch repräsentiert werden diese beiden Pole durch die Grünen und die AfD. Am größten ist zahlenmäßig aber das konservativ-steigerungsorientierte Spektrum. Es umfasst die typischen Mentalitäten der gesellschaftlichen Wohlstandsmitte. Genau hier hat sich in den letzten Jahren am stärksten ein neuer Verteidigungskonsens entwickelt, gegen Klimaschutz und Transformation.
Der sozial-ökologische Konflikt verläuft nicht einfach oben gegen unten, sondern zwischen verschiedenen Formen von Wohlstandssicherung und Veränderungsbereitschaft. Entscheidend ist, ob der eigene Status durch privates Eigentum und durch Steigerung gesichert ist, oder eher durch öffentliche Infrastrukturen, Bildung und Soziales. Das verändert auch die politische Konfliktkarte und macht deutlich, warum die Klimakrise eine tiefgreifende Gerechtigkeitsfrage ist.
Welche Strategien lassen sich aus diesen Erkenntnissen ziehen?
Wenn Blockaden gegen Klimapolitik heute nicht bei den einkommensärmsten Gruppen zunehmen, sondern aus der wohlhabenden Mitte kommen, dann muss sich auch die politische Strategie ändern. Statt die soziale Frage nur rhetorisch zu adressieren oder individuelle Konsumgewohnheiten zu moralisieren, braucht es eine ehrliche und sozial gerechte Klimapolitik, die auch klar benennt, wo Veränderung notwendig ist und wer besonders in der Verantwortung steht. Der neue Verteidigungskonsens der wohlhabenden Mitte muss politisch konfrontiert werden. Es reicht nicht, auf Dialog oder »bessere Kommunikation« zu setzen. Statt uns hinter technokratischen Lösungen zu verstecken, müssen wir offen über notwendige Strukturveränderungen und sozial zumutbaren Verzicht sprechen. Dafür braucht es Umverteilung von oben nach unten, aber auch von privat zu öffentlich.
Im Rahmen dieser Debatten braucht es ein positives Projekt. Etwa eine sozial gerechte Transformation, die nicht nur Belastungen verteilt, sondern kollektive Lebensqualität erhöht, indem sie bezahlbaren Wohnraum, kostenlosen ÖPNV, sichere Energie und gesunde Ernährung ermöglicht.
Um so ein Projekt umzusetzen, braucht es Allianzen, die diesen Umbau tragen können. Soziale Bewegungen, Gewerkschaften und progressive Parteien müssen sich gemeinsam für eine Infrastruktur der Sorge und Versorgung für alle einsetzen. Die Alternative wäre, das Feld den Kräften zu überlassen, die Klimapolitik aktiv zurückdrehen – auf Kosten der Zukunft und der sozialen Gerechtigkeit.
Es gibt Versuche, den Klima-Klassenkonflikt auf die Tagesordnung zu setzen. Etwa durch gemeinsame Streiks von Fridays for Future mit Beschäftigten im ÖPNV. Verfangen haben die Bemühungen bisher nicht. Warum scheiterte dieses Vorhaben bisher?