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Das Wirtschaftsmagazin

This is SPARTA: Europas neue Rüstungsträume

Eine Gruppe aus Ökonomen und Unternehmern will Europa zu einem modernen Sparta machen. Progressive Kräfte müssen diesem Rüstungsoptimismus etwas entgegensetzen.

12 Minuten Lesedauer

Collage: Surplus, Material: picture alliance / Ger Harley / EdinburghElitemedia, IMAGO / CTK Photo

Im Frühjahr 2025 wurde Kanzler Merz ein Strategiemanifest für die Verteidigungspolitik präsentiert. Es trug eine vielsagende Abkürzung: SPARTA – Strategic Protection and Advanced Resilience Technology Alliance. Vorgestellt wurde das Manifest von einer besonderen Gruppe: der Investorin Jeannette zu Fürstenberg, dem Chairman von Airbus, René Obermann und einem ehemaligen Airbus-Vorstandsvorsitzenden, Thomas Enders. Ebenfalls dabei war Moritz Schularick, einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands und Direktor des Kiel Institut für Weltwirtschaft. 

Angesichts der angespannten politischen Lage gaben sie ihrem Papier einen entsprechend dramatischen Titel: »Abhängigkeit oder Selbstbehauptung: Deutschlands und Europas Rolle im 21. Jahrhundert entscheidet sich jetzt«. Die Bedrohungslage durch Putins Russland war den Anwesenden klar, ebenso die Unzuverlässigkeit der USA unter Donald Trump. Die Reaktion darauf, so die SPARTA-Gruppe, müsse verstärkt europäische nukleare Abschreckung beinhalten, einen »Drohnenwall« an der Ostfront der Nato, ein Unterwasser-Sensorsystem für die Ostsee sowie ein eigenes Satellitennetzwerk, um sich von jeglicher Abhängigkeit von Elon Musk zu befreien. Im Prinzip war es ein Aufruf zu einer echten Abkopplung von den USA: die Vision eines hochtechnologisierten europäischen Verteidigungssystems unter Federführung Deutschlands. Sollten Pläne wie SPARTA verwirklicht werden, würde sich die europäische Landkarte komplett verändern.

Zeiten ändern sich

In den 1950er Jahren sind West- und Ostdeutschland wiederbewaffnet und fest in ihren jeweiligen Machtblöcken verankert worden. In den 1980ern galt die Bundeswehr als eine der potenziell leistungsfähigsten Armeen der Welt. Dennoch lag die Führung der Nato weiterhin fest in amerikanischen Händen. Die Briten und Franzosen verfügten derweil nicht nur über »unabhängige« nukleare Abschreckungsmittel, sondern ihre jeweiligen Armeen konnten (im Gegensatz zu den bundesdeutschen Soldaten) regelmäßig in Kolonial- und Postkolonialgebieten im Einsatz getestet werden. Die Bundeswehr mit ihren 500.000 aktiven Soldaten und einer Mobilisierungsstärke von 1,3 Millionen Mann im Ernstfall war eine Abschreckungsmacht, die jedoch ausschließlich für den Schlimmstfall konzipiert war.

In den 1990er Jahren setzte Deutschland auf die Friedensdividende. Dies führte dazu, dass das Vereinigte Königreich und Frankreich quasi automatisch zu den militärischen Führungsmächten in Europa aufstiegen, wobei der italienische Rüstungskonzern Leonardo das europäische militärisch-industrielle Dreigespann vervollständigte. Deutschland hingegen ist bis heute bekannt dafür, dass es sich bei der Beschaffung von High-End-Ausrüstung auf die USA verlässt. 2023 belegte Rheinmetall, Deutschlands einziger großer Rüstungskonzern, einen bescheidenen 26. Platz in der SIPRI-Liste der größten globalen Verteidigungsunternehmen. Merz’ Versprechen, Deutschland zur führenden konventionellen Militärmacht Europas zu machen, stellt somit eine echte Wende dar. Visionen wie die des SPARTA-Quartetts bieten Vorschläge, wie seine Worte in eine hochtechnologische Industriepolitik umgemünzt werden könnten.

Deutschland schließt sich dabei einem globalen Trend an: Die weltweiten Rüstungsausgaben sind von rund zwei Billionen Dollar in den 2010er Jahren auf 2,7 Billionen 2024 gestiegen. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die USA geben jedoch noch immer mit Abstand am meisten aus. Das Land versammelt etwa eine Billion Dollar oder 37 Prozent der weltweiten Gesamt-Rüstungsausgaben auf sich. Nach einzelnen Ländern berechnet, liegt China mit zwölf Prozent der weltweiten Gesamtausgaben an zweiter Stelle. Obwohl das Reich der Mitte häufig als eine zunehmend militarisierte Bedrohung angeführt wird, beträgt der Anteil der Verteidigungsausgaben am chinesischen BIP laut offiziellen Zahlen allerdings nur halb so viel wie der Anteil der USA.

Nach einem enormen Anstieg der Ausgaben in den vergangenen Jahren liegt Deutschland inzwischen hinter Russland auf Platz vier. Rechnet man Deutschlands Aufwand zu denen der anderen europäischen Nato-Mitglieder hinzu, übersteigen deren Gesamtausgaben diejenigen Russlands bei Weitem und entsprechen in etwa denen Chinas. Mehr noch: Die europäischen Rüstungsausgaben, insbesondere in Deutschland und seinen nord- sowie osteuropäischen Nachbarländern, steigen rasant. Während die US-Wirtschaft von einem KI-Boom angeheizt wird und China das heimische Produktionswachstum vor allem in den Bereichen grüne Energien und Technologie in gigantischem Umfang vorantreibt, ist in Europa der Rüstungssektor die am schnellsten wachsende Branche.

Aus strategischer Sicht ist es nicht schwer zu erklären, warum das so ist. Die Rivalität zwischen den USA und China wird zweifelsohne die zukünftige Weltordnung bestimmen. In den vergangenen zehn Jahren haben beide Protagonisten in strategische Assets investiert; beide modernisieren ihre Marinen, ihre Weltraum- und Atomwaffenarsenale. Die Zukunft verspricht eine beängstigende trilaterale nukleare Pattsituation zwischen den USA, Russland und China. Derzeit verfolgen sowohl die USA als auch China allerdings weitsichtige Strategien: Beide Seiten sind daran interessiert, direkte Konfrontationen zu vermeiden. Aus Sicht der USA ist das Wettrennen mit China tatsächlich ein Anlass, die Konflikte in Europa und im Nahen Osten zu beenden. Es ist genau dieser Rückzugsimpuls seitens der USA – und das trotz Putins Aggression und offensichtlicher Skrupellosigkeit –, der die Europäer dazu bewegt, die eigenen Ausgaben zu erhöhen.

Credit: IMAGO / ZUMA Press Wire
Credit: IMAGO / Chris Emil Janßen

Alarmstimmung in Brüssel

Nachdem die europäischen Staaten sich lange Zeit gegen das Ziel von zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben gesträubt hatten, einigte man sich auf dem Nato-Treffen im Sommer 2025 darauf, langfristig sogar fünf Prozent anzustreben. Es gibt Unterschiede innerhalb Europas: Frankreich und das Vereinigte Königreich werden durch ihre jeweilige Angst vor einer Haushaltskrise eingeschränkt. Spanien und Italien sind weit weg von der »Frontlinie« in Osteuropa und zeigen daher weniger Willen, ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen. Insgesamt herrscht in Brüssel seit der Wahl Trumps im November 2024 jedoch allgemeine Alarmstimmung.

Im Frühling 2025 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Pläne für das damals sogenannte Programm »ReArm Europe«. Es war ein unmissverständliches Manifest für eine kollektive Hightech-Investitionsoffensive. Da passte es gut, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einst deutsche Verteidigungsministerin war. Erst nach Protesten aus Spanien und Italien wurde der Titel in das offenbar weniger provozierende »Readiness 2030« geändert. 2030 gilt als das Datum, an dem Russland nach Ansicht von Fachleuten in der Lage sein könnte, von der Ukraine abzulassen und im Westen anzugreifen.

Die vom deutschen Verteidigungsministerium im Herbst 2025 vorgelegten Beschaffungspläne sind beeindruckend: Die Ausgaben für Neuanschaffungen werden von 8,25 Milliarden Euro aus dem regulären Haushalt 2025 auf 22,3 Milliarden Euro im Jahr 2026 steigen und dann auf diesem Niveau oder darüber beibehalten, sodass sich bis 2040 eine Gesamtsumme von 355 Milliarden Euro ergibt. Hinzu kommen die verbleibenden Mittel aus dem Sondervermögen, die zwischen 2025 und 2027 in Höhe von rund 25 Milliarden Euro pro Jahr eingesetzt werden können.

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Adam Tooze

Adam Tooze ist Herausgeber von Surplus und Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Columbia University in New York.

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