Eine kleine Spitze konnte sich Eddie Vedder nicht verkneifen. Eigentlich stand der Sänger der legendären Grungeband Pearl Jam im September 1995 in Cleveland, Ohio, auf der Bühne, um Neil Young zu feiern, der in jenem Jahr in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Vedder, damals einer der bekanntesten Musiker, nutzte sein Podium vor der versammelten Musikindustrie für einen ironischen Kommentar. »Ich sage voraus, dass es am Ende des Abends eine Essensschlacht geben wird«, sagte er mit fast maliziösem Grinsen und empfahl »Menschen mit Stil« wie Lou Reed und Laurie Anderson, aus dem Weg zu gehen oder aber sich anzuschließen – »vielleicht sollten wir alle mitmachen, solange wir sie hier haben«. »Sie«, das waren die Repräsentanten von Ticketmaster, die ein »Klugscheißer« am Tisch direkt neben Pearl Jam platziert hatte.
Marktführer Ticketmaster
Vedders Witz markierte das Ende einer mehr als ein Jahr lang dauernden Fehde zwischen Pearl Jam und Ticketmaster, eine Fehde, die die Band eindeutig verlor. Pearl Jam hatte gegen das Unternehmen eine Beschwerde eingereicht mit der Begründung, aufgrund eines Streits um Gebühren habe Ticketmaster als Monopolist verhindert, dass Veranstaltungslocations die Band buchen. Das Verfahren wurde im Juli 1995 nach 14 Monaten eingestellt. Knapp drei Jahrzehnte später steht die US-amerikanische Ticketplattform wieder in den Negativschlagzeilen. Seit der Klage von Pearl Jam hat der Konzertkartenanbieter seine Macht weiter ausgebaut und war 2010 mit der Medienfirma Live Nation zu Live Nation Entertainment fusioniert.
Die Geschichte wiederholt sich. Das US-Justizministerium reichte im Mai 2024 ebenfalls eine Klage gegen das Unternehmen wegen illegaler Wettbewerbspraktiken ein – Live Nation Entertainment habe in den USA ein Monopol auf Live-Veranstaltungen. Mehr als 70 Prozent des US-Markts werden von Ticketmaster kontrolliert, mit einem noch größeren Anteil am Arena- und Stadionmarkt. 2024 erzielte Live Nation einen Rekordumsatz von 23,2 Milliarden US-Dollar (19,8 Milliarden Euro). Auch weltweit ist es das führende Ticketunternehmen und verkauft jedes Jahr rund 500 Millionen Tickets in mehr als 30 Ländern. In Deutschland ist der größte Konkurrent mit einem Jahresumsatz von 2,8 Milliarden Euro Eventim.
In der Kritik steht der Marktführer aber nicht nur wegen seiner monopolähnlichen Stellung, sondern auch, weil der Anbieter beim Verkauf von Eintrittskarten verstärkt auf ein Preismodell namens Dynamic Pricing setzt. Dynamische Preissetzung bedeutet, dass Ticketpreise etwa für Konzerte oder Fußballspiele algorithmisch und in Echtzeit an die Nachfrage angepasst werden. Ursprünglich wurde dieses Modell eingeführt, um die Preise auf dem Schwarzmarkt oder auf Websites zum Weiterverkauf von Eintrittskarten einzudämmen. Damit sekundäre Anbieter (wie Viagogo) nicht bedeutend höhere Gebühren veranschlagen können, werden die Ticketpreise der Nachfrage angepasst. Dann bleibt beim Wiederverkauf eine geringere Preisdifferenz übrig, so zumindest die Theorie. Die Realität sieht anders aus.
Oasis und die Fußball-WM 2026
Seit einiger Zeit wird Dynamic Pricing verstärkt kritisch betrachtet – vor allem von frustrierten Fans. Denn statt feste Beträge für bestimmte Kategorien zu haben, sind die Preise extrem volatil. Als Oasis im Herbst 2024 ihre lang ersehnte Reunion-Tour ankündigten, betrugen die Ticketpreise ursprünglich 148 Pfund (170 Euro). Nach vielen Stunden in der digitalen Warteschlange mussten Fans aber mehr als das Doppelte zahlen: Die Preise waren auf 355 Pfund (405 Euro) gesprungen. Zuvor schon hatte es Fanproteste wegen der Preisgestaltung bei den Touren anderer Artists gegeben, unter anderem von Taylor Swift und Bruce Springsteen. Nicht nur Dynamic Pricing wird kritisiert, sondern auch der gestaffelte Vorverkauf von Konzertkarten, der, so lautet der Vorwurf, zu einer künstlichen Verknappung führe.
Bei der WM 2026, die vom 11. Juni bis 19. Juli in den USA, Kanada und Mexiko ausgetragen wird, nutzt auch die FIFA erstmals Dynamic Pricing. Der niedrigste Ticketpreis startet zwar bei 60 US-Dollar (52 Euro), kann dank des Preismodells aber unregulierte Höhen erreichen. (Die teuerste Kategorie für einen Spitzenplatz im Finale beginnt bei 6.730 US-Dollar [5.784 Euro].) Auch für den Wiederverkauf hat die FIFA bis dato keine Obergrenze festgelegt. Begründet wurde diese Maßnahme damit, man wolle sich den »kulturellen Normen« der Länder anpassen; in den USA und in Kanada sei man mit Dynamic Pricing bereits vertraut. Der designierte New Yorker Bürgermeister und Fußballfan Zohran Mamdani rief in einem im September auf Social Media veröffentlichten Video seine Followerinnen dazu auf, gegen diese Maßnahme zu protestieren – das WM-Finale wird im New York New Jersey Stadium stattfinden. Wegen der weltweiten Kritik kündigte die FIFA jetzt an, für »treue Fans« günstigere Tickets bereitzustellen.
Dynamische Preisgestaltung im Supermarkt
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