zum Inhalt
Das Wirtschaftsmagazin

CO₂-Speicherung: Die gefährliche Wette

Deutschland will seine Industrie mittels CO₂-Abscheidung (CCS) klimaneutral machen. Doch die Technologie ist unzuverlässig und sorgt für Kostenexplosionen.

5 Minuten Lesedauer

Der britische Premier Keir Starmer besucht mit dem norwegischen Premier Jonas Gahr Støre die CCS-Anlage Northern Lights. Credit: IMAGO / NTB

Inmitten eines Archipels vor der Westküste Norwegens, zwischen schroffen kleinen Inseln, pflügt ein violett gefärbtes, 130 Meter langes Tankschiff durchs Meer. Auf dessen Bug prangt in großen weißen Lettern der Name »Northern Pathfinder«. In seinen Tanks lagern CO₂-Emissionen, die bei der Herstellung von Zement entstanden sind. Ziel ist der Industriehafen von Øygarden in der Nähe von Bergen. Von dort aus soll das CO₂ über eine Unterwasserpipeline mitten in die Nordsee transportiert werden und in fast 2,6 Kilometern unter dem Meeresboden in eine poröse Gesteinsschicht gepresst werden. Ab 2026 sollen bis zu vier dieser lila Schiffe Emissionen nach Øygarden transportieren. Insgesamt 127,8 Millionen Tonnen CO₂ sollen eingespeichert werden. Das ist zumindest der Plan von Northern Lights – einem Joint-Venture der drei Öl- und Gasgiganten Equinor, Shell und Total Energies. Es ist das erste internationale Projekt zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, auch bekannt als Carbon Capture and Storage (CCS). Perspektivisch sollen auch Emissionen aus Deutschland dort die Ewigkeit verbringen.

Gesetzesänderung öffnet Tür für CCS-Infrastruktur

Das Konzept von CCS ist eigentlich simpel. Vereinfacht ausgedrückt, packen wir einen Filter auf den Schornstein eines Zement-, Stahl- oder Gaskraftwerks, der die Emissionen abfängt, bevor sie in die Atmosphäre gelangen. Anschließend werden sie unter der Erde verscharrt. Für energieintensive Industrien in Deutschland soll diese Technologie die Klimaneutralität bis 2045 ermöglichen. Im August hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen. Dadurch wurde der Rahmen geschaffen, um Anlagen zur Abscheidung und ein landesweites Pipeline-Netz zu bauen sowie Speicherstätten in der Nordsee zu installieren. Bis Anfang der 2030er Jahre soll die Infrastruktur bereit sein. Dann müssten 3 Megatonnen pro Jahr geologisch gespeichert werden, um die Klimaziele einzuhalten, wie eine Studie vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie zeigt. Ab 2045 sollen es 45 Megatonnen sein.

Mit der Gesetzesänderung sollen vor allem Industrien unterstützt werden, die Emissionen verursachen, die nicht anderweitig dekarbonisiert werden können. In den Augen der Bundesregierung sind das die Zement- und Kalkproduktion, Müllverbrennungsanlagen und die Herstellung grundchemischer Stoffe wie Ammoniak für Düngemittel. Allerdings werden auch andere Emittenten wie Stahlproduzenten oder Gaskraftwerke ihre Emissionen abscheiden dürfen, obwohl diese Sektoren auch anderweitig klimaneutral werden könnten. Einzig Kohlekraftwerke sind von der Gesetzesänderung ausgeschlossen. Deutschland hat damit seine Haltung zu CCS radikal geändert. Bislang war der kommerzielle Einsatz der Technologie sogar verboten.

Eine Technik als Glaubensfrage

CCS ist ein echtes Streitthema. Umweltverbände warnen davor, dass durch die CO₂-Abscheidung Unternehmen länger auf fossile Energieträger setzen werden, anstatt wirklich zu dekarbonisieren. Auch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, inwiefern die Technik zur Klimalösung taugt. Dabei  scheint die Marschrichtung eigentlich klar: Der Bundesregierung zufolge seien die Klimaziele ohne Kohlenstoffspeicherung nicht zu erreichen. Auch der letzte Bericht des Weltklimarats (IPCC) sieht CCS als eine notwendige Technologie, um das 1,5 Grad- und 2 Grad-Ziel zu erreichen. Zweifel erscheinen da als ein Politikum.  Beim Thema CCS geht es aber auch um einen Kampf um die Faktenhoheit. Öl- und Gaskonzerne, welche die Infrastruktur bereitstellen, erhoffen sich ein neues Geschäftsmodell. Natürlich müssen dann die Kapazitäten möglichst groß und die Anwendungsmöglichkeiten möglichst breit sein. Ihr Narrativ: CCS ist eine sichere, nachhaltige Technologie, die sich bewährt hat. Durch Lobbygruppen versuchen sie, Gesetzgeber in der Bundesregierung und der EU davon zu überzeugen. Denn solche Unterfangen sind in hohem Maße  auf Subventionen angewiesen. Laut einer Studie des Thinktanks Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) würden die in Europa geplanten CCS-Projekte 140 Milliarden Euro an staatlichen Förderungen benötigen. Matthias Kalkuhl, Leiter der Forschungsabteilung Klimaökonomie und Politik am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), sagt, dass ohne diese Gesetzesänderung die Klimaneutralität in Deutschland kaum vorstellbar wäre.

Jetzt mit kostenloser Probewoche testen:

Zum Newsletter

Gibt’s schon einen Account? Login

David Haas

David Haas ist freiberuflicher Investigativ- und Umweltjournalist. Er hat Investigative Journalism an der Universität Göteborg studiert und befasst sich mit Klimathemen.

#5 – Die Ökonomie des Überlebens

Mit dem Klimakollaps droht eine Verwüstung des Planeten. Nur ein anderes Wirtschaften kann ihn aufhalten.

Zum Magazin