Weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit werden in Brüssel gerade die Grundpfeiler der EU-Haushaltspolitik bis in die Mitte der 2030er Jahre verhandelt: der sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU für 2028 bis 2034. Die Debatte verläuft jedoch bisher auf irreführender Basis und orientiert sich mehr am Status quo denn an der Zukunftsfähigkeit der EU – mit weitreichenden negativen Konsequenzen für Europas Wirtschaft und ihre Bürgerinnen und Bürger.
Nachdem die EU-Kommission im Juli mit aufgeblähten Zahlen ihren Budgetvorschlag als einen großen Wurf für die Leistungsfähigkeit der EU verkündet hat, reagierte der Rat der Mitgliedstaaten inklusive der Bundesregierung mit reflexartigen Kürzungsvorschlägen. Die einzige EU-Institution, die die historischen Herausforderungen erkannt hat und mit realistischeren Zahlen operiert, ist das EU-Parlament.
Der anstehende Dezemberrat der Mitgliedstaaten bietet eine Chance, die Debatte endlich neu auszurichten. Ziel muss es sein, trotz der angespannten Haushaltslage in den Mitgliedstaaten den deutlich zu wenig ambitionierten MFR-Vorschlag der Kommission durch zusätzliche Investitionen zu stärken – und damit die EU wirtschaftlich als auch fiskalisch wieder auf nachhaltigere Füße zu stellen. In einer neuen Analyse machen wir konkrete Vorschläge, wie dies sogar ohne zusätzliche direkte jährliche Beitragszahlungen aus den Mitgliedstaaten möglich wäre.
Der Vorschlag der EU-Kommission ist nicht so ambitioniert, wie behauptet
Entgegen der Beteuerung der EU-Kommission ist der MFR-Vorschlag alles andere als ambitioniert. Die fast 2000 Milliarden Euro, die der Öffentlichkeit als bedeutende Erhöhung des Volumens des MFR um knapp 40 Prozent präsentiert wurden, verpuffen bei genauerer Betrachtung. Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung steigt der zukünftige EU-Haushalt um marginale 0,02 Prozentpunkte von 1,13 Prozent bei der letzten Verabschiedung 2020 auf 1,15 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens (BNE) heute – wenn man die Rückzahlung der EU-Anleihen für das Wiederaufbauprogramm Next Generation EU (NGEU) abzieht, da dieses Geld nicht für produktive Ausgaben zu Verfügung steht (s. Grafik 1).
Betrachtet man zudem alle Nebenhaushalte, verschärft sich dieses Bild noch: Es käme ab 2028 sogar zu einer bedeutenden Kürzung der real verfügbaren Finanzkraft der EU von 1,43 Prozent des EU-BNEs auf 1,28 Prozent des EU-BNEs (alles in 2025er Preisen, s. Grafik 1). Das liegt daran, dass der größte Nebenhaushalt NGEU Ende 2026 auslaufen wird und die neuen Nebenhaushalte im Gegensatz dazu ausschließlich aus Krediten bestehen sollen, was innerhalb der EU-Fiskalregeln nur wenig zusätzliche Finanzkraft bietet.
Kürzungsforderungen ignorieren wachsende Herausforderungen
Trotzdem hat sich die deutsche Bundesregierung auf einen Sparkurs festgelegt und fordert ebenso wie weitere Staaten um Österreich, die Niederlande und Schweden Kürzungen. In Zeiten knapper Kassen, so die Argumentation der Bundesregierung, sei »ein Aufwuchs des EU-Haushalts nicht vermittelbar«.
Es stimmt zwar, dass die Mitgliedstaaten ab 2028 im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung knapp 25 Prozent höhere Beiträge zahlen müssten, um den Anstieg im Kernhaushalt der EU zu finanzieren. Diese Erhöhungen decken jedoch fast ausschließlich den Kaufkraftverlust des EU-Budgets durch die Inflationskrise sowie die Rückzahlungen der Corona-Kredite, statt einen tatsächlichen »Aufwuchs des EU-Haushaltes« zu finanzieren.
Statt über aufgeblähte Volumen im nächsten Budget zu streiten, ohne diese Kontextfaktoren zu berücksichtigen, sollte der Fokus aus unserer Sicht auf die Kapazität des Haushalts gelenkt werden, um den zentralen Herausforderungen für die EU zu begegnen. Leistet das EU-Budget einen ausreichenden Beitrag zur Schließung der Investitionslücken für eine klimaneutrale, resiliente und langfristig erfolgreiche europäische Wirtschaft? Leider fällt das Fazit hier negativ aus.
Riesige öffentliche Investitionslücken bleiben
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