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Federici: Die Entdeckung unsichtbarer Arbeit

Silvia Federici prägte die Theorie von Geschlecht, Arbeit und Familie wie keine andere. Dass heute selbstverständlich von Sorgearbeit gesprochen wird, ist ihr Verdienst.

9 Minuten Lesedauer
Illustration: Surplus

Silvia Federici erkannte früh, dass Karl Marx etwas vernachlässigt hat, nämlich Arbeit, die Frauen leisten. 1942 geboren und in einem sozialistischen Dorf mit Partisanen-Tradition aufgewachsen, las sie schon als Teenagerin seine Werke – die zum Ausgangspunkt ihres Denkens, aber auch zum Objekt ihrer Kritik werden sollten. Es war ihre Mutter, die sie dazu inspirierte, die bislang Unsichtbaren sichtbar zu machen. Denn Marx hatte die industrialisierte Fabrikarbeit des 19. Jahrhunderts im Blick, als er seine Wert- und Kapitaltheorie formulierte. Andere Formen der Arbeit kannte er zwar, gerade aber die Sorgearbeit hat er nie eigens theoretisch untersucht und ins Verhältnis zur kapitalistischen Wertschöpfung gesetzt. Und so sollte es Federicis Mission werden, die spezifische Ausbeutung und Zurichtung der Frauen im Kapitalismus sichtbar zu machen und damit einen neuen, materialistischen Feminismus zu prägen.

Der feministischen Aktivistin, Sozialwissenschaftlerin und Philosophin ist es zu verdanken, dass wir heute, geht es um Care-Arbeit, von Arbeit sprechen können. In ihrer, wie sie es scherzhaft nennt, »unglücklichen Ehe« mit dem Marxismus, folgt sie der Auffassung, dass für die Produktion auch eine Reproduktion notwendig ist, dass die Arbeitskraft kontinuierlich wiederhergestellt werden muss. Nach Marx konstituiert sich der Prozess der Reproduktion dadurch, dass Güter konsumiert und mit einem Lohn gekauft werden können: das Bett zum Ausruhen, das Essen und Trinken für die Kraft. Aber, so fragt Federici, wer macht das Bett? Wer kocht das Abendessen? Wer erzieht die Kinder zur nächsten Generation Fabrikarbeiter und Hausfrauen? Wer erfüllt die sexuellen Wünsche des Ehemannes? Und zu welchem Lohn? Die heterosexuelle Kernfamilie, so Federicis Hauptthese, ist die Grundlage, auf der die kapitalistische Arbeitsteilung beruht: der Ehemann, der in die Fabrik geht und die Hausfrau, die zu Hause für die Reproduktion der Arbeitskraft des Mannes und für die nächste Generation von Arbeitenden sorgt. 

Federicis politische Heimat: die feministische Bewegung der 1970er

Doch Federici kämpfte nicht nur auf dem Papier. Ihre Forderung danach, die Haus- und Fürsorgearbeit als Teil des gesamtgesellschaftlichen (Re-)Produktionszyklus anzuerkennen, war Kern der feministischen Bewegung der 1970er Jahre. »Manche Männer verurteilten uns, andere waren sehr überrascht«, erinnert sich die heute 82-jährige italienische Theoretikerin Mariarosa Dalla Costa. Sie waren überrascht von der Forderung, die plötzlich im Raum stand und die Geschlechterverhältnisse erschütterte: Am 8. März 1974 zogen Feministinnen durch die Straßen des italienischen Mestre und forderten einen Lohn für die Hausarbeit, die sie sonst kostenlos verrichteten. Dalla Costa hatte bei der Demonstration eine Rede gehalten und damit die gemeinsam mit ihren Genossinnen vorbereitete Kampagne »Wages for Housework« (»Löhne für Hausarbeit«) gestartet. Die Kampagne hatten Dalla Costa und Federici gemeinsam mit den feministischen Aktivistinnen und Schriftstellerinnen Selma James und Brigitte Galtier im Jahr 1972 in Padua gegründet. Doch es sollte nicht bei Padua bleiben. Ziel war es, eine globale Bewegung anzustoßen und die materialistische feministische Theorie zu erneuern – auch gegen den Widerstand manch männlicher Marxisten, die, wie Dalla Costa sagte, den Feministinnen Spaltung vorgeworfen und ihre Frauen-Treffen gestört haben.

In Dalla Costa fand Silvia Federici ihre (politische) Heimat. Wie sie in ihrer Essaysammlung Revolution at Point Zero schreibt, habe sie nach dem Lesen eines Pamphlets Dalla Costas sofort gewusst, »dass ich mein Zuhause, meinen Stamm und mein eigenes Selbst als Frau und Feministin gefunden hatte.« Ihr Umfeld und die Praxis haben Federici zweifelsohne geprägt und sie bis heute begleitet. 1973, nach ihrer Emigration in die USA, gründete sie das Wages for Housework Committee in New York. Kurz darauf schrieb sie ein dazugehöriges Pamphlet.

»They say it is love. We say it is unwaged work«, lauten die ikonischen ersten Worte der Streitschrift Wages against Housework von 1975. »Against«, nicht »for«, wie im Kampagnen-Titel, weil Federici unmissverständlich machen will, dass sie und ihre Genossinnen nicht nur wortwörtlich die gerechte Entlohnung der Hausfrau, sondern vor allem die Emanzipation der Frau von der Hausfrau zum Ziel haben. Sie schreibt: »Wenn wir für Löhne kämpfen, kämpfen wir eindeutig und direkt gegen unsere soziale Rolle.« Es geht um die Wahlfreiheit, die eigene Arbeitskraft für Lohn zu verkaufen, Hausarbeit zu verweigern, oder in einer lesbischen Konstellation zu leben. Die Abweichung von der binären und heterosexuellen Konstellation, so heißt es in Federicis Pamphlet, ist es, was das kapitalistische Herrschaftsverhältnis ins Wanken bringt.

Vor allem aber sollten die Kampagne und das Flugblatt erst einmal sichtbar machen, dass es sich bei Care-Arbeit nicht um einen kostenlosen Service aus Liebe zum Partner und zur Familie handelt, sondern um knallharte, repetitive Arbeit, die einen spezifischen Zweck in der kapitalistischen Gesellschaft verfolgt: die Reproduktion der Arbeitskraft. Bei Federici bilden Frauen und Männer gemeinsam das Proletariat, Frauen jedoch noch einmal eine Art Proletariat im Proletariat. Denn die Hausarbeit ist von anderer Qualität als die Lohnarbeit. Ihre Ausgestaltung sei in besonderer Weise manipulativ und mystifiziert, da sie »zu einer natürlichen Eigenschaft unseres weiblichen Körpers und Charakters erklärt wurde«, schreibt Federici in ihrem Pamphlet. Und der ausbleibende Lohn macht die Manipulation noch gravierender. Wer für einen Lohn arbeitet, wird nur darüber getäuscht, dass in Wirklichkeit ein Mehrwert abgeschöpft wird – wer ohne Lohn arbeitet, stellt offensichtlich nur Mehrwert für die andere Person her.

Wie es zur Ausbeutung der Frau kam

Dabei, so betont die Feministin, ist diese Ordnung nicht gottgegeben oder gar zufällig entstanden, sondern beruht auf der Subjektivierung der Frau zur Hausfrau, einer Art lebenslangen »Berufsausbildung«. An dieser Stelle grenzt sich Federici von anderen feministischen Theoretikerinnen ab: An den radikalfeministischen Positionen kritisiert sie, dass sie die Tendenz haben, kulturelle gegenüber sozio-ökonomischen Erklärungen vorzuziehen. Sozialistinnen wie Alexandra Kollontai und Clara Zetkin wiederum würden richtigerweise auf die »Geschichte spezifischer Ausbeutungssysteme« rekurrieren, dabei aber die Ausbeutung der Frau nur aus dem Ausschluss von der Produktion herleiten, nicht aber ihre Reproduktionsarbeit als »Quelle von Wertschöpfung und Ausbeutung« betrachten. Diese Defizite in der feministischen Theorie führten Federici dazu, nach den materiellen Ursachen für das patriarchale System zu suchen. Daraus entstand 2004 ihr bahnbrechendes Werk mit dem Titel Caliban und die Hexe, das einer genealogischen Methode, also dem Nachzeichnen spezifisch historischer Entwicklungen mit dem Ziel, strukturelle Zusammenhänge zu erkennen, folgt. Sie überprüft eine These, zu der ihre Genossinnen Mariarosa Dalla Costa und Selma James die Vorarbeit geleistet haben: Die Unterdrückung der Frau sei nicht bloß Überbleibsel des Feudalismus, sondern ein zentraler Bestandteil und Motor im »Prozess kapitalistischer Akkumulation«. 

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Xenia Miller

Xenia Miller ist Redakteurin bei Surplus. Sie hat vorher bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gearbeitet und Politikwissenschaften, Soziologie und Politische Theorie studiert.

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