Anne Brorhilker ist Juristin und eine der wichtigsten Kämpferinnen gegen Finanzkriminalität. Sie hat als Oberstaatsanwältin eine zentrale Rolle bei der Aufklärung des Cum-Ex-Skandals gespielt, dem größten Steuerraub in der deutschen Geschichte. Heute ist sie Geschäftsführerin des Vereins Finanzwende.
Laut Schätzungen entgehen dem Staat jährlich 100 Milliarden Euro durch Steuerkriminalität. Wieso tut der Staat hier so wenig?
Das ist wirklich eine riesige Summe, wenn man sich das mal vor Augen hält. Wenn wir dieses Geld hätten, würde es uns deutlich besser gehen in Deutschland. Die Behörden sind aber sehr schwach aufgestellt, und das eigentlich überall – in der Justiz, bei der Polizei, in der Finanzverwaltung. Oft gibt es dort nicht nur zu wenig Personal, sondern auch zu wenig Fachwissen. Denn die Beamten werden häufig ausgetauscht, das erschwert den Aufbau von Fachexpertise. Auf der anderen Seite stehen hochspezialisierte Anwaltsteams. Das allein macht die Aufklärung sehr schwer. Zudem läuft strukturell in den Behörden einiges schief. Einzelne Abteilungen bleiben nur in ihrem Bereich, statt sich mit den anderen auszutauschen.
Das klingt nach einem typischen Problem deutscher Behörden…
Hinzu kommt natürlich – das sehen wir in allen Bereichen – eine schlechte technische Ausstattung. Häufig fehlt selbst eine einheitliche IT-Infrastruktur. Auch wegen der föderalistischen Strukturen gibt es in jeder Behörde ganz viele Datenschutzbeauftragte, die teilweise völlig konträre Entscheidungen treffen. Die Systeme sind dann überhaupt nicht kompatibel. Das erschwert die Kommunikation, selbst eine Videokonferenz durchzuführen, wird so zur Herausforderung.
Das klingt verrückt.
Ja, es ist ziemlich verrückt. Und das trägt alles dazu bei, dass der Staat ausgerechnet an dieser Stelle eben sehr, sehr schwach ist. Mit dem Ergebnis, dass viele Ermittlungsverfahren nicht geführt werden können, weil man einfach nicht die nötigen Ressourcen hat. Wenn man keine Ermittler hat, dann kann man keine Bank durchsuchen. Für sowas braucht man 100 Leute, das macht man nicht mal eben so allein. Wenn man keine Betriebsprüfer hat, kann man keine Unternehmen prüfen. Also wird vieles nicht gemacht, was eigentlich dringend gemacht werden müsste. Im Justizbereich ist es häufig auch so, dass Verfahren frühzeitig durch schnelle Deals beendet werden, weil man der Sachlage einfach nicht gewachsen ist.
Es gibt aber auch eine starke Finanzlobby, die eine wirksame Bekämpfung von Steuerhinterziehung verhindert?
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