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Das Wirtschaftsmagazin

Fratzscher: Die geldpolitische Wende der EZB ist der erste Schritt

Bisher liegt die Hauptaufgabe der EZB darin, Preisstabilität zu gewährleisten. Das könnte sich nun ändern.

4 Minuten Lesedauer
Collage: Surplus, Material: IMAGO/Panama Pictures, IMAGO/Eibner

Mit ihrer jüngsten Bewertung ihrer Strategie hat die Europäische Zentralbank den wohl tiefgreifendsten Wandel seit ihrer Gründung im Jahr 1998 eingeleitet. Auch wenn sie es nicht ausdrücklich so formuliert hat, bewegt sich die EZB weg von einem streng regelbasierten Ansatz hin zu mehr Ermessensspielraum bei der Festlegung politischer Prioritäten. Dieser Wandel ist zu begrüßen, birgt aber auch erhebliche Risiken.

Hin zum Risikomanagement

Auf den ersten Blick mögen die Änderungen am geldpolitischen Rahmen der EZB relativ bescheiden erscheinen. Das mittelfristige Inflationsziel liegt nach wie vor bei 2 Prozent, und der Grundsatz der Symmetrie – der über oder unter dem Ziel liegende Zinssätze als gleichermaßen unerwünscht behandelt – bleibt bestehen.

Doch die bedeutsamste Veränderung liegt darin, wie die EZB ihr Mandat definiert und umsetzt. Während die Verträge der Europäischen Union die Preisstabilität als einziges EZB-Ziel festlegen, haben die Entscheidungsträger bei der Auslegung dieses Ziels erheblichen Ermessensspielraum. Im Rahmen ihres aktualisierten Ansatzes wird die EZB die Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidungen beurteilen, indem sie den Nutzen ihrer Maßnahmen gegen die potenziellen Kosten und Risiken für Realwirtschaft und Finanzsystem abwägt. Geldpolitische Entscheidungen werden nun nicht mehr ausschließlich von der »wahrscheinlichsten Inflationsentwicklung« geleitet. Stattdessen wird die EZB als Risikomanager agieren.

Dadurch kann die EZB von der Umsetzung geldpolitischer Maßnahmen absehen, die zwar nötig sind, um mittelfristig Preisstabilität zu gewährleisten, aber schwerwiegende Nebenwirkungen haben oder sich als weitgehend unwirksam erweisen können. Infolgedessen könnte das Inflationsziel seine Vorrangstellung verlieren, und größere oder längere Abweichungen von diesem Ziel könnten toleriert werden.

Die EZB steckt in einem Zielkonflikt

In einer Rede, in der sie die neue Strategie skizzierte, betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass derartige Abweichungen nur zulässig seien, wenn die Inflationserwartungen fest verankert blieben. Sie argumentierte, eine »beharrliche« politische Reaktion könne als Ersatz für eine »energische« dienen. Mit anderen Worten: Die EZB könnte allmähliche und nachhaltige Zinserhöhungen gegenüber drastischen Erhöhungen vorziehen.

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Marcel Fratzscher

Marcel Fratzscher war leitender Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank. Er ist Präsident des Thinktanks DIW Berlin und Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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