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Das Wirtschaftsmagazin

Gewerkschaften und Klimabewegung sollten zusammenarbeiten

Deutsche Gewerkschaften und Umweltbewegungen verbindet mehr, als man glaubt. Sie müssen ihre Gegensätze überwinden. 

5 Minuten Lesedauer

2024 haben Fridays for Future und Verdi gemeinsam demonstriert. Credit: IMAGO/IPON

Die ernüchternden Ergebnisse der COP30 demonstrieren (einmal mehr) die Macht des fossilen Kapitals. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig spült so viel Geld in die Taschen der Konzerne und deren Eigentümer wie die fossile Industrie. Mit Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche – einer ehemaligen Gas-Lobbyistin – sind die Interessen des fossilen Kapitals auch in der Bundesregierung bestens vertreten. Das zeigt: Es braucht stärkere Allianzen über den Tellerrand der Umweltbewegung hinaus. Nur eine Gegenbewegung mit breit aufgestellter gesellschaftlicher Unterstützung hat überhaupt die Chance, dem fossilen Kapital die Stirn zu bieten. 

Die Gräben sind real – aber nicht so tief, wie sie scheinen

Gewerkschaften wirken für viele Klimaaktivistinnen und -aktivisten wie schwerfällige Verteidiger des Status quo. Historisch betrachtet waren sie Profiteure des »fossilen Wohlfahrtsstaatskapitalismus« und »Fans des Wirtschaftswachstums«, wie IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban es selbst beschreibt. Und wenn die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi auf Podien über Degrowth schimpft, wirkt das so, als lägen Welten zwischen den Bewegungen.

Umgekehrt unterschätzte die Umweltbewegung lange die Realität, in der Gewerkschaften operieren. Klimapolitik ist kein abstraktes moralisches Projekt. Sie greift tief in Arbeits- und Lebensbedingungen ein und trifft oft besonders jene hart, die ohnehin wenig haben.

Doch wer nur auf die Unterschiede schaut, übersieht, worauf solche rot-grünen Allianzen tatsächlich aufbauen können und schlussendlich müssen: gemeinsame Ziele, langjährige Überschneidungen und eine reale politische Notwendigkeit. 

Lange verdrängt, aber klar belegt: Umweltpolitik ist Gewerkschaftspolitik

Kaum bekannt ist, wie früh Umweltthemen im gewerkschaftlichen Selbstverständnis verankert wurden. 1972 verabschiedete der DGB seine ersten Leitsätze zum Umweltschutz. Dort heißt es, dass sich Gewerkschaftsarbeit nicht nur auf Arbeitsbedingungen beschränkt. Vielmehr »nahmen die deutschen Gewerkschaften schon immer eine politische Gestaltungsaufgabe in Anspruch, die sie auch im Rahmen des Umweltschutzes ausüben werden«. 1974 folgte ein detailliertes Umweltprogramm. Die Maxime lautete damals schon: Gute Arbeitsbedingungen und eine gesunde Umwelt gehören untrennbar zusammen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. 

Auch im bis heute gültigen DGB-Grundsatzprogramm von 1996 ist Ökologie fest verankert. Gewerkschaften verstehen sich dort ausdrücklich als gesellschaftspolitische Akteure mit einem »übergreifenden Gestaltungsauftrag, den sie mit anderen sozialen Bewegungen und politischen Kräften umsetzen«. Gerechtigkeit, Wohlstand und ökologische Zukunftsfähigkeit gehören zu einer »lebenswerten Zukunft«, heißt es dort.

Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 wurde der Umweltschutz zur formalen Aufgabe von Betriebsräten. Demnach soll der Betriebsrat »Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes fördern«. § 89 konkretisiert dies und umfasst sämtliche personellen und organisatorischen Schritte sowie betriebliche Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren und Arbeitsplätze, die dem Umweltschutz dienen. Damit verfügt die Umweltbewegung über einen potenziell riesigen Verbündeten. Denn fast die Hälfte aller Beschäftigten wird durch einen Betriebsrat vertreten.

Klimaschutz findet also nicht nur auf der Straße statt: Er ist Realität in den Betrieben, den Tarifrunden, den Betriebsratsgremien. Und genau dort sind Gewerkschaften starke Akteure.

Von »sauberer Kohle« zum Kohleausstieg: Wandel ist möglich

Die Umsetzung dieser Programme und Beschlüsse lief historisch betrachtet nicht immer reibungslos. In Krisenzeiten – Ölkrise 1973, Wiedervereinigung 1990, Finanzkrise 2008 – rückten Kernthemen wie die Arbeitsplatzsicherung in den Vordergrund. In solchen Momenten entstand das, was Klaus Dörre »Krisenkorporatismus« nennt: eine Art Burgfrieden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern.

Aber die Geschichte zeigt auch, dass Gewerkschaften bereit sind, umzudenken. Die Entwicklung in der Kohlefrage ist ein Paradebeispiel. Noch 2010 bezeichnete der DGB Kohle als wichtigen Energieträger der Zukunft, und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sprach von »sauberer«, »umweltfreundlicher« Kohle. Doch binnen weniger Jahre vollzog sich ein Kurswechsel. Verdi änderte nach massiven Protesten eigener Mitglieder 2019 seine offizielle Haltung; die IG BCE folgte und stimmte in der Kohlekommission ebenfalls dem Ausstieg zu. Ein ähnliches Umdenken gab es schon in den 80er Jahren mit Blick auf die Atomkraft.

Auch beim Thema Verkehrswende gibt es innerhalb der IG Metall – der größten und wohl mächtigsten Gewerkschaft Deutschlands – Bewegung. Das Auto wird zwar weiterhin als unverzichtbar für große Teile der ländlichen Bevölkerung gesehen. Doch erkennt die IG Metall in einem gemeinsamen Positionspapier mit dem BUND die Notwendigkeit an, das Verkehrsaufkommen insgesamt zu reduzieren.

Diese Beispiele unterstreichen die Bereitschaft für harte Entscheidungen, selbst wenn sie der gewerkschaftlichen Kernaufgabe – dem Arbeitsplatzerhalt – manchmal entgegenstehen.

Ein Blick in die Praxis

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Felix Schulz

Felix Schulz forscht an der Universität Lund und der University of Leeds interdisziplinär zu sozial-ökologischen und digitalen Transformationsprozessen.

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