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Das Wirtschaftsmagazin

Der grüne Kapitalismus wird scheitern

Sinnfluencer werben für einen grünen Kapitalismus. Greenwashing ist die Ideologie der Stunde.

5 Minuten Lesedauer
Werbung, grün verpackt: Barbara Meier und Marie Nasemann. Credit: IMAGO/Future Image

Manchmal finden sich die großen Fragen unserer Zeit in Kommentarspalten auf Instagram. So geschehen unter einem Videobeitrag des Models Marie Nasemann. Während diese, voller Enthusiasmus, das Paket einer Versandplattform für gebrauchte Bücher auspackt und den Kauf als nachhaltige Lösung für Weihnachtsgeschenke anpreist, fragt eine Userin in den Kommentaren, ob ihr das Thema Nachhaltigkeit angesichts der ganzen Flugreisen, die sie tätigt, wirklich so wichtig sei. Es folgt eine Diskussion über individuellen Konsum und die Verantwortung für die Klimakrise. Trotz solcher Debatten zeigt sich beim Scrollen in der Bubble ein recht einheitliches Geschäftsmodell, welches die Vereinbarkeit von Unternehmertum und Klimaschutz propagiert. Marie Nasemann verkörpert das als symptomatische Sozialfigur unserer Zeit: als Sinnfluencerin. Mit der für Social-Media-Plattformen typischen Mischung aus Selbstdarstellung und Unterhaltung, widmen sich Sinnfluencerinnen und -influencer gesellschaftlichen Themen wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit und demonstrieren uns tagtäglich, dass ein ökologisch nachhaltiger Lebensstil in Form von Slow Fashion, Bio-Produkten oder grünen Finanzanlagen möglich sei.

Das Phänomen verkörpert den grünen Kapitalismus und das darin begründete Versprechen einer Versöhnbarkeit unserer gewohnten Lebensweise mit den planetaren Grenzen. Ob das funktionieren kann, ist umstritten. Während einige Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Politik Wachstum und Marktwirtschaft als einzigen Weg anpreisen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen, räumen Autorinnen und Autoren wie Ulrike Herrmann oder Niko Paech einzig einem grünen Schrumpfen eine reelle Chance bei der Einhegung der Klimakrise ein. Dabei ist diese Debatte über das Funktionieren oder Scheitern des grünen Kapitalismus eigentlich müßig, denn er existiert und prägt die Klimawandelbekämpfung mehr als jede Postwachstums-Utopie. Die Frage ist also vielmehr, wie es der grüne Kapitalismus trotz aller offenkundiger Widersprüche geschafft hat, sich so breit zu etablieren und selbst vermeintlich progressive Kreise zu vereinnahmen. Die Soziologie eröffnet hier interessante Einsichten.

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Marc Dreher

Marc Dreher ist Wirtschaftssoziologe am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart.

Gregor Kungl

Gregor Kungl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart und forscht im Themenbereich nachhaltige Transformation der Wirtschaft.

Ricarda Büchinger

Ricarda Büchinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart und befasst sich mit Transformationsprozessen in Wirtschaftssektoren.

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