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Waffen zu Wärmepumpen

In den 70er Jahren entwarfen britische Arbeiter einen Plan, um ihr Rüstungsunternehmen auf zivile Produktion umzustellen. Der Lucas-Plan bietet auch heute noch wichtige Lehren.

5 Minuten Lesedauer

Credit: MayDay Rooms

Großbritannien 1974. Der erste Ölpreisschock hatte die Weltwirtschaft in eine tiefe strukturelle Krise gestürzt. Tausende britische Industriearbeiter fürchteten um ihre Jobs, rasante kulturelle und ökonomische Veränderungen kündeten vom Ende des »goldenen Zeitalters« der boomenden Nachkriegsjahre. Eine neue Labour-Regierung in Großbritannien sah Kürzungen im Verteidigungsbereich vor, ein Jahr später begann die Premierministerin Margaret Thatcher mit dem neoliberalen Umbau der britischen Wirtschaft. 

Genau in dieser tiefen strukturellen Krise, die zu einer anhaltenden Deindustrialisierung führte,  kam es zu einem der radikalsten Experimente realer Wirtschaftsdemokratie. In Birmingham, beim Rüstungskonzern Lucas Aerospace, entwarfen Arbeitende eine umfassende Vision einer ökologischen, zivilen Produktion für ihr in die Krise geratenes Unternehmen. Der dabei entstandene Lucas-Plan ist eines der wohl erstaunlichsten und weitsichtigsten Dokumente der Wirtschaftsgeschichte. Gerade heute, wo viele westliche Staaten ihre Rüstungsausgaben wieder hochfahren und Militärkonzerne boomen, gewinnt der Lucas-Plan an erstaunlicher Aktualität. 

Der Konzern Lucas Aerospace war einst ein Leuchtturmprojekt der britischen Rüstungsindustrie. In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts als Familienunternehmen für Metallwaren gegründet, wurde der Konzern während der beiden Weltkriege zu einem wichtigen Bestandteil der britischen Kriegswirtschaft. Lucas Aerospace lieferte elektrische Systeme für die britischen Kampfflugzeuge wie etwa den Langstreckenbomber Avro Lancaster, der im Zweiten Weltkrieg gegen das nationalsozialistische Regime zum Einsatz kam. Nach dem Krieg dehnte das Unternehmen seine Produktion auch auf den zivilen Bereich aus, etwa für die britische Autoindustrie und für die Raumfahrt. 

Die Krise der 70er Jahre erforderte einen Plan

Doch mit dem Ölpreisschock geriet der Konzern in eine tiefe strukturelle Krise. Die hohen Energiepreise führten zu einem Absatzrückgang im Automobilsektor, der auch die Lucas Industry Group traf.  Hinzu kamen die seit Jahren sinkenden Verteidigungsaufträge. Tausende Stellen sollten gestrichen werden. Viele Gewerkschafter und Angestellte bei Lucas hofften damals auf eine Verstaatlichung des Konzerns durch die britische Regierung. Doch es kam anders. 

Die britische Wirtschaft war in einer schlechten Verfassung und die Botschaft der Labour-Regierung war klar: Das Schicksal von Lucas würde vom »Markt« entschieden werden. Gewerkschafter aus der gesamten Organisation wandten sich an Tony Benn, einen der führenden demokratischen Sozialisten der britischen Linken, der damals Industrieminister war. Der machte den Arbeitnehmervertretern einen überraschenden Vorschlag: Warum sollten sie nicht ihren eigenen Plan zur Rettung des Unternehmens ausarbeiten?

Credit: MayDay Rooms

Lucas Aerospace beschäftigte zu diesem Zeitpunkt etwa 18.000 hochqualifizierte Arbeiter und Angestellte an seinen 17 Standorten. Die Belegschaft verfügte über eine starke und effektive Gewerkschaftsvertretung, an der 12 verschiedene Gewerkschaften für Arbeiter und Angestellte beteiligt waren. Um auf die Krise zu reagieren, schlossen sich die leitenden Betriebsräte der Arbeiter- und Angestelltengewerkschaften aller Standorte von Lucas Aerospace zusammen und bildeten einen Ausschuss, der die gesamte Belegschaft vertrat. Das Lucas Aerospace Combine Shop Stewards Committee (LACSSC) unter der Führung des Gewerkschafters Mike Cooley begann damit, umfassende Fragebögen an die Arbeitenden zu schicken. Das Komitee wollte herausfinden, welche Maschinen in dem Betrieb vorhanden waren, wie die Belegschaft qualifiziert war und auf welche zivilen Produkte man umstellen könnte. 

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Matthias Ubl

Matthias Ubl ist Chef vom Dienst bei Surplus. Als Journalist arbeitete er unter anderem für »Die Zeit« und die »FAZ«. Er ist Host des Podcast »Jacobin Talks«.

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