Am 21. November hat die Monopolkommission ihr Sondergutachten »Wettbewerb in der Lebensmittellieferkette« vorgestellt. In dem Gutachten hat die Monopolkommission die Marktverhältnisse auf Ebene der Landwirte, Hersteller und des Handels intensiv untersucht. Auslöser dafür waren die Bauernproteste im Jahr 2024 sowie die hohen Lebensmittelpreise der letzten Jahre. Im Interview mit Surplus-Redakteur Max Hauser erklärt der Vorsitzende Tomaso Duso, wieso die Konzentration im Sektor eine kritische Schwelle erreicht hat.
Max Hauser: Die Lebensmittel werden immer teurer, aber gleichzeitig gehen die Bauern auf die Straße, weil sie unter großer finanzieller Unsicherheit leiden. Wie passt das zusammen?
Tomaso Duso: Die Einnahmen von landwirtschaftlichen Betrieben sind zum großen Teil von den Weltmärkten abhängig. Die Landwirtschaft ist Risikoträger der Schwankungen in Weltmarktpreisen, insbesondere bei Getreide. Die Landwirtinnen und Landwirte produzieren, ohne zu wissen, was sie am Ende dafür bekommen. Das bedeutet auch, dass es Phasen gibt, in denen die Weltmarktpreise hoch sind, in denen die Landwirte profitieren können. Das war zuletzt 2022 der Fall. Aber es gibt viele Phasen, in denen die Weltmarktpreise niedrig sind, die Kosten bleiben aber die gleichen und für die Landwirte wird es dann sehr eng. Die Lebensmittelpreise hängen mit diesen hohen Weltmarktpreisen und mit gestiegenen Energiekosten zusammen. Es hat aber auch etwas mit einem abnehmenden Wettbewerb entlang der Lieferkette zu tun, und das ist das Thema unseres Gutachtens.
Das Gutachten stellt eine enorme Marktkonzentration fest. Der Markt für Lebensmittel wird von vier Gruppen beherrscht.
Wir sehen tatsächlich eine sehr hohe Konzentration auf der Handelsebene. Vier Ketten – Edeka, Aldi, Rewe und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland – haben zusammen 86 Prozent Marktanteil. Wir sehen aber auch eine steigende Konzentration in der Lebensmittelproduktion. Wir sollten daher genau aufpassen, dass sich der Konzentrationsprozess auf Ebene der Einzelhändler nicht bei den Herstellern fortsetzt. Das Bundeskartellamt sagt, dass der Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel trotz dieser Konzentration relativ gut funktioniert. Wir sehen das kritischer.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie, um weitere Konzentration zu verhindern?
Um zu verhindern, dass die Konzentration auf beiden Ebenen weiter steigt, brauchen wir wirklich eine deutlich schärfere Fusionskontrolle. Das kann sichergestellt werden, indem das Bundeskartellamt sich nicht nur regional isolierte Beschaffungs- und Absatzmärkte anschaut, was auch gut und richtig ist, sondern auch, wie sich die gesamte Lieferkette bei einer Fusion verhalten wird. Die Fusionskontrolle sollte auch mehr das ganze Unternehmen in den Blick nehmen, also müssen auch Logistik, Marketing und andere Faktoren berücksichtigt werden. Die größte Herausforderung wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich die Kontrolle von vertikalen Fusionen werden. Diese liegen vor, wenn ein Händler einen Hersteller übernimmt. Diese vertikalen Fusionen können die Verhandlungsverhältnisse in der gesamten Lieferkette stark verändern. Sie verschieben die Machtverhältnisse zulasten vorgelagerter Stufen wie der Landwirtinnen und Landwirte, aber auch der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Von daher müssen die Wettbewerbsbehörden umdenken und sich stärker überlegen: Was sind die potenziell negativen Auswirkungen von vertikaler Konsolidierung? Dafür braucht man neue »Schadenstheorien«, also ein umfassendes Konzept und neue Ansätze zur Auswertung der potenziellen negativen Auswirkungen solcher Fusionen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher. Was bedeutet es beispielsweise für Barilla, wenn Edeka Pasta Rey übernimmt? Hier sind in den nächsten Jahren die Behörden gefragt. Ergänzend zur Fusionskontrolle braucht es eine bessere Aufsicht über potenzielle Missbräuche von Marktmacht. An sich ist der gesetzliche Rahmen des Kartellrechts und der »Unfair Trade Practices« ausreichend, um dies zu verhindern, aber die Durchsetzung muss deutlich verschärft und effektiv werden. Viele betroffene Hersteller und Landwirte haben Angst, missbräuchliche Praktiken zu melden, weil es kommerzielle Nachteile nach sich ziehen kann, wie etwa eine Auslistung vom Sortiment. Deshalb muss sich die Rechtsdurchsetzung auf die Fälle konzentrieren, bei denen die Betroffenen wenige Möglichkeiten haben, sich zu wehren.
Wieso empfehlen Sie keine Maßnahmen, um die Konzentration zu reduzieren?
Konzentration zu reduzieren, ist sehr schwierig. Maßnahmen wie Zerschlagungen und Entflechtungen sind sehr schwer durchzusetzen, und es ist auch nicht wirklich klar, was die Auswirkungen sind. Es gilt jetzt erstmal, die Regeln anzuwenden, die wir haben, um den Wettbewerb zu schützen, insbesondere die Missbrauchsaufsicht, bevor wir zu Ultima-ratio-Maßnahmen greifen.
Der Handelsverband hat in seiner Reaktion auf das Gutachten die gestiegenen Kosten für Personal und Energie hervorgehoben. Waren die Preissteigerungen in der Lebensmittellieferkette in den letzten Jahren über der Inflationsrate?
Das war deutlich der Fall. Die Preise sind seit 2011 im Durchschnitt um 35 Prozent gestiegen, während es bei den Lebensmitteln je nach Produktgruppe zwischen 50 und 75 Prozent waren. Wir sehen auch, dass die Preisaufschläge im Lebensmitteleinzelhandel und bei den Herstellern deutlich gestiegen sind.
Wie sehen die Preissteigerungen in Deutschland im europäischen Vergleich aus?
Im europäischen Vergleich ist zu erkennen, dass, obwohl die Durchschnittspreise in Deutschland im Mittelfeld liegen, wir seit 2011 den höchsten prozentualen Anstieg beobachten können. Das gilt für die Nahrungsmittel allgemein, aber das ist in den einzelnen Kategorien wie Fleischprodukten, Milcherzeugnissen und Getreideprodukten deutlich zu sehen. Durch die Bank weg steigen in Deutschland die Lebensmittelpreise stärker als überall sonst in Europa.
Sie empfehlen im Gutachten, den Strukturwandel zu größeren, effizienteren Betrieben in der Landwirtschaft nicht aufzuhalten. Aber wie lässt sich das mit einem Idealbild bäuerlicher, nachhaltiger Landwirtschaft vereinbaren?
