Wohnungsanzeigen sind in der Wohnkrise zur reinsten Horrorshow geworden. Ob absurde Mietpreise, Ablösezahlungen für Schrottmöbel in Tausenderhöhe oder Mehrbettzimmer, in denen ein Bett einige Hundert Euro kostet: Das Angebot ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Trotzdem schaffen es Vermietende, sich immer wieder gegenseitig zu übertreffen. Obwohl man meinen könnte, dass es bei 40 Euro pro Quadratmeter kalt keine zwei Meinungen gibt, versammeln sich bei Beiträgen zur Wohnungskrise auf Instagram und TikTok zuverlässig User in den Kommentarspalten, die den Vermietenden zur Seite springen. Ihre Argumente sind nicht besonders vielfältig und wiederholen sich schnell. Ein Best-of (etwas freundlicher formuliert, als es in der Regel der Fall ist) zeigt die beliebtesten Mythen rund um die Wohnkrise.
1. »Die Mieten sind wegen der hohen Nachfrage so teuer!«
»Angebot und Nachfrage« – von dieser Formel haben alle schon mal was gehört: Wenn ein Produkt knapp ist und die Anfrage hoch, dann wird es teuer. Das Entscheidende ist aber, dass das kein Automatismus ist, sondern eine Entscheidung. Es sind Menschen, die sich für eine Preissteigerung entscheiden. Das mag man bei Labubus okay finden, doch Wohnraum ist kein normales Produkt. Wohnraum ist ein Grundbedürfnis, auf das Menschen nicht mal eben verzichten können. Das heißt: Vermietende können sich recht sicher sein, dass Menschen sich nicht gegen das Wohnen entscheiden, weil die Preise steigen. Verzicht ist hier keine Möglichkeit, dem Wucher zu entkommen. Und Mieterinnen und Mieter können auch auf kein anderes Produkt umsteigen. Ein Zelt ist keine Alternative. Deshalb ist es wichtig, zu begreifen, dass Preissteigerungen bei hoher Nachfrage eine Option sind, aber eben auch eine bewusste Entscheidung. Deshalb heißt es ja auch: Mieten steigen nicht, sie werden erhöht.
2. »Wohnraum ist das Eigentum der Vermietenden, damit können sie machen, was sie wollen.«
Auf diesen Hinweis auf das Recht auf Eigentum kann man schnell mit dem Grundgesetz entgegnen: »Aber Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« (Art 14, Abs. 2 GG) Doch das Zitieren trockener Gesetzestexte erstickt allzu schnell die wertvolle Diskussion, die an dieser Stelle doch so entscheidend ist. Nehmen wir Wohnen als menschliches Grundbedürfnis ernst – so wie Trinkwasser zum Beispiel. Würde bei Trinkwasser auch noch jemand horrende Preise verteidigen, während Menschen verdursten?
3. »Vermietende verdienen sich keine goldene Nase.«
Dieses Argument wird gern mit Zahlen ausgeschmückt, die zeigen, dass insbesondere kleine private Vermietende monatlich keine horrenden Gewinne aus der Vermietung ziehen würden. Tatsache ist: Ihnen wird in der Regel trotzdem von den Mieterinnen und Mietern ein Kredit abbezahlt – wenn sie nicht ohnehin geerbt haben. Dieser Fakt kommt viel zu kurz und wird oft als völlig selbstverständlich hingenommen. Man stelle sich das mal bei einer anderen Form der Altersvorsorge vor: Wie wäre es, wenn mir jemand meine private Rentenversicherung jeden Monat zahlt? Einen Kredit abbezahlt zu bekommen, ist für sich genommen schon ein enormer Gewinn. Zusätzlich steigt der Wert von Immobilien seit Jahren. Allein zwischen 2011 und 2019 haben Immobilienbesitzende in Deutschland 3 Billionen Euro an Vermögen hinzugewonnen, weil der Wert ihres Besitzes gestiegen ist. Für die Besitzenden war es also bisher eine Win-win-Situation – auch ohne monatlichen Gewinn.
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