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Das Wirtschaftsmagazin

Rüstung: Kein Markt wie jeder andere

In der Verteidigungsindustrie dominiert der Staat Angebot und Nachfrage. Daher sollte die Politik private Rüstungskonzerne verstaatlichen.

8 Minuten Lesedauer

Credit: IMAGO / sepp spiegl

Rüstungsunternehmen sind keine normalen Unternehmen. Der Rüstungsmarkt ist kein normaler Markt. Und Rüstung ist kein normales Produkt. Im Ernstfall geht es bei alledem um das Töten, anstatt wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen um das Leben. Umso relevanter ist angesichts von potenziell rund 2000 Milliarden Rüstungsausgaben allein von Deutschland im nächsten Jahrzehnt die Frage: Wie organisieren wir den Rüstungsmarkt?Im Gegensatz zu anderen Branchen reguliert der Staat nicht nur das Marktgeschehen von Angebot und Nachfrage. Bei der Rüstung spielt er auf beiden Seiten eine führende Rolle. Schon die Nachfrageseite bildet er fast allein. Er entscheidet darüber, wie hoch die Aufträge in der Industrie für Kriegsgerät ausfallen – zumindest, wenn es um Produktionsanlagen in Deutschland geht. Auf die Politik geht zurück, ob 1, 5 oder 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung verwendet werden.

Diese Entwicklung der Nachfrageseite wird langfristig abgesichert über festgelegte Ausgabequoten. So sorgt die Nato-Quote mit Bezug zum Bruttoinlandsprodukt dafür, dass ein fester Anteil der Wirtschaftsleistung in Verteidigungsausgaben fließt. Bis 2035 sollen das für alle Nato-Staaten 3,5 Prozent des BIPs für direkte Verteidigung und 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Ausgaben sein. Jene 3,5 Prozent entsprechen einem Anstieg auf 211 Milliarden Euro jährlich von jetzt gerade 86 Milliarden Euro. Es ist also ein enormer Aufwuchs, über dessen notwendige Höhe sich vortrefflich streiten lässt.Unabhängig von der konkreten Höhe folgen aus einer starren Quote am BIP aber tiefergehende ökonomische Probleme. Sie lässt außer Acht, wie viel bereits für Verteidigung ausgegeben wurde und wie viele funktionsfähige Verteidigungsgüter es bereits gibt. Derzeit ist es so, dass nicht einmal Frieden in der Ukraine etwas an der Nachfrage der europäischen Rüstungskonzerne ändern würde, weil die Nato-Staaten den Großteil der Aufträge vergeben. Solch eine Regel führt jährlich zu neuen Ausgaben und neuen Aufträgen. Der Staat könnte dabei auch Kriegsgerät zu Mondpreisen kaufen und für einen Panzer Milliarden bezahlen, um damit die Nato-Quote zu erfüllen. Dann könnten zwar die Ingenieure und der Stahl für sinnvollere Industriegüter verwendet werden, aber es würde zu »Über-Übergewinnen« in der Rüstungsindustrie führen. Umgekehrt können Länder sich natürlich weigern, die Ausgaben zu tätigen, und die Nato verlassen. Das ändert aber nur etwas an der Höhe der Rüstungsnachfrage, nicht daran, ob der Staat eine zentrale Rolle spielt. Im Konkreten wird diese Nachfrage dann zusätzlich um Rahmenverträge und Abnahmegarantien ergänzt.

Auch auf der Angebotsseite spielt die Politik eine entscheidende Rolle. Denn sie entscheidet, welche Rüstungsausgaben getätigt werden und wie diese ganz konkret auszusehen haben. So meint die Chefeinkäuferin der Bundeswehr, Annette Lehnigk-Emden, dass es in der Rüstungsindustrie mehr Bürokratie geben würde als im Beschaffungswesen. Je komplexer die militärischen Anforderungen werden, desto höher wird die Hürde für bestehende oder neue Anbieter. Das erklärt einen Grund für den Trend zur Monopolisierung in der Rüstungswirtschaft. Eine Analyse der Universität der Bundeswehr in München zeigt: Von 60.000 Vergaben des Beschaffungsamts der Bundeswehr wurde in 58 Prozent der Fälle nur ein Angebot abgegeben. Nur bei 10 Prozent der Vergaben gab es fünf oder mehr Angebote. Das Wettbewerbsprinzip als Vergabegrundsatz gilt damit nicht mehr, so Michael Eßig, Wirtschaftsprofessor an der Universität der Bundeswehr München. Die Rüstungsindustrie hat in größtenteils Teilen also ein klassisches Monopol. Nur ein kleiner Teil der Aufträge ist ein Oligopol.Zu dieser staatlichen Prägung der Angebotsseite kommen noch weitere Aspekte hinzu: So finanziert der Staat die Grundlagenforschung für die Industrie sowie den Produktionsaufbau durch Abschläge oder Kredite vor. Auch echte Staatsbeteiligungen an der Rüstungsindustrie gibt es. Seit einigen Jahren ist die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bei dem Sensorspezialisten Hensoldt oder dem Flugzeugbauer Airbus beteiligt.

Weil ebenjene Beziehung aus Staat und Rüstungswirtschaft so komplex wie eng ist, folgen daraus eine ganze Reihe weiterer Probleme, wie zum Beispiel der Lock-in-Effekt: Wenn es nur einen oder wenige Anbieter gibt, sind beide Parteien praktisch auf die jeweils andere Seite angewiesen. Wenn es etwa auf der Angebotsseite zu nachträglichen Preiserhöhungen kommt, kann der Staat kaum anders, als die versenkten Kosten zu akzeptieren und schlicht mehr Geld zu bezahlen. 

Durch diese enge Verbindung zweier Bereiche ist es naheliegend, dass es auch personell einige Verstrickungen gibt. Im Rüstungsbereich gibt es ein außergewöhnlich hohes Potenzial für Lobbyismus und sogar Korruption. Wenige Verteidigungs- und Haushaltspolitiker entscheiden über Aufträge in Milliardenhöhe. So verhandelte Henning Otte, der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion und derzeitige Wehrbeauftragte der Bundesregierung, den Koalitionsvertrag in diesem Bereich, obwohl er vorher in etlichen Lobbyvereinen mit Rüstungskonzernen saß. In weiteren Fällen finden sich Verteidigungspolitiker, die gleichzeitig im Aufsichtsrat von Rüstungskonzernen saßen. Hinzu kommen Spenden von Rüstungskonzernen an Abgeordnete und Parteien. Das ist juristisch erlaubt oder im Graubereich, aber in jedem Fall fragwürdig. Auch der allbekannte Drehtüreffekt existiert hier besonders. Ein Beispiel: Der ehemalige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber von der FDP, wurde später zum Vice President Political Affairs bei Elbit Systems Deutschland, einem israelischen Unternehmen für Rüstungstechnik. Faber beschreibt sich selbst als Bindeglied zwischen Politik und Management – was soll schon schiefgehen? 

Doch diese Vermischung gibt es auch andersherum. Etwa, wenn CEOs von Rüstungsunternehmen meinen, die notwendige staatliche Nachfrage beurteilen zu können: »Gerade Russlands Angriffskrieg zeigt uns doch, dass viel, viel mehr Kampfpanzer der neuesten Generation notwendig sind«, meint Rheinmetall-Chef Armin Papperger. 

Mehr Markt oder mehr Staat?

Aus diesen Gründen gibt es zur Organisation des Rüstungssektors eine wiederkehrende Debatte. Sie zieht sich über unterschiedliche Jahrhunderte, Wirtschaftssysteme und politische Leitlinien. Dabei gibt es vier relevante Vorschläge, um die Rüstungsindustrie effizienter oder gerechter zu machen. 

Wettbewerbsintensivierung: Die Intensivierung des Wettbewerbs in der Verteidigungsindustrie ist ein laufendes Thema. So warnte etwa die Deutsche Monopolkommission im Frühjahr 2025 im Zuge der steigenden Verteidigungsausgaben davor, »starre Monopole zu schaffen«. Die Instrumente dagegen seien die Förderung von europäischem Wettbewerb, die Beteiligung von Start-ups sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Dringlichkeit und Innovation.

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Lukas Scholle

Lukas Scholle ist Ökonom, Gründer und Chefredakteur von Surplus.

#6 – Waffen oder Wohlstand

Die Rüstungsindustrie boomt, während beim Sozialen gekürzt wird. Das ist kein Wirtschaftsmodell der Zukunft.

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