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Das Wirtschaftsmagazin

Der Shareholder-Kapitalismus hat sich durchgesetzt

Die mächtigsten CEOs der USA wollen keinen Stakeholder-, sondern einen Shareholder-Kapitalismus. Die Regierung hilft ihnen dabei.

4 Minuten Lesedauer

In den USA regiert die Börse. Credit: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Im Jahr 2019 erntete der Business Roundtable breite Anerkennung. Der Zusammenschluss der mächtigsten CEOs der Vereinigten Staaten bekannte sich zu einem »Stakeholder-Kapitalismus«, der nicht nur den Aktionären, sondern auch anderen betroffenen Akteuren wie Mitarbeitenden und Gemeinden einen Mehrwert verspricht. Nun hat der Business Roundtable jedoch einen Kurswechsel vollzogen: Sein Bericht vom April mit dem Titel The Need for Bold Proxy Process Reforms liest sich fast wie ein Manifest gegen den Stakeholder-Kapitalismus.

Der Grund für diese Kehrtwende liegt auf der Hand. Das »Bekenntnis« des Roundtable aus dem Jahr 2019 war ein klarer Versuch, sich die Gunst der öffentlichen Meinung zu sichern: Das Engagement für soziale und ökologische Themen nahm zu, ebenso wie die Forderungen, dass sich mächtige Institutionen daran beteiligen sollten. Doch mittlerweile hat sich die politische Stimmung gewandelt. In einer Zeit, in der die Menschen in den USA mit zunehmenden finanziellen Belastungen zu kämpfen haben, wendet sich die zweite Administration unter US-Präsident Donald Trump von Umwelt- und Sozialthemen aktiv ab. Vielen CEOs erscheint das als einmalige Gelegenheit.

Aus diesem Grund fordert der Business Roundtable den US-Kongress auf, »Gesetze zu verabschieden, die den Ausschluss von Aktionärsanträgen zu ökologischen, sozialen und politischen Themen in den Proxy Statements von Unternehmen vorsehen.« Damit wollen die CEOs einen der wenigen formellen Mechanismen abschaffen, über den eine Vielzahl unterschiedlicher Interessengruppen – darunter Arbeitnehmer, Pensionsfonds, religiöse Organisationen, Bürgerrechtsgruppen und langfristig orientierte Investoren – Einfluss auf das Verhalten von Unternehmen in Fragen wie Klimarisiken, Ungleichheit, Arbeitssicherheit und politische Transparenz nehmen können.

Am Ende zählen die Dividenden und Gehälter der CEOs

Dafür gibt es zahlreiche Präzedenzfälle. Während die CEOs des Business Roundtable gerne Lippenbekenntnisse zu freiwilligen Initiativen zur Unternehmensverantwortung abgeben, wehren sie sich vehement gegen öffentliche Maßnahmen, die sie zu deren Umsetzung verpflichten würden. So lehnten sie beispielsweise den Inflation Reduction Act des ehemaligen Präsidenten Joe Biden ab, in dem erhebliche Mittel für saubere Energie und Emissionsminderungen vorgesehen sind. Außerdem setzten sie Millionen Dollar ein, um die umfassendere Umweltagenda der Biden-Regierung zu torpedieren. Zudem widersetzten sie sich einem Vorschlag der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission, wonach Unternehmen Treibhausgasemissionen in ihren Lieferketten offenlegen müssen. Solche Maßnahmen seien ihrer Meinung nach übermäßig aufwendig.

Es überrascht daher nicht, dass Forschende der Harvard University im Jahr 2021 feststellten, dass die zwei Jahre zuvor gegenüber Stakeholdern abgegebenen »Bekenntnisse« nicht mit sinnvollen Maßnahmen einhergingen und somit »größtenteils nur Show« waren. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kamen Forschende der Universitäten Yale und Columbia sowie eine Analyse der britischen Zeitung The Guardian.

Tatsache ist, dass die Schaffung eines echten Mehrwerts für Arbeitnehmer und Umwelt Geld kosten würde, worunter die Dividenden der Aktionäre und die Gehälter der Führungskräfte leiden würden – also genau die Dinge, worauf es den Mitgliedern des Business Roundtable wirklich ankommt. Tatsächlich ist die Vergütung der CEOs, die das »Bekenntnis« zum Stakeholder-Kapitalismus unterzeichnet haben, weiterhin Ausdruck ihres Erfolgs bei der Schaffung von Shareholder Value. Als im Jahr 2020 die Covid-19-Pandemie ausbrach, schickte etwa Marriott International fast unverzüglich die meisten seiner Beschäftigten in den unbezahlten Zwangsurlaub – während gleichzeitig mehr als 160 Millionen Dollar an vierteljährlichen Dividenden ausgezahlt wurden und eine Gehaltserhöhung für den CEO, der die Erklärung von 2019 unterzeichnet hatte, angestrebt wurde.

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Christopher Marquis

Christopher Marquis ist Professor für Management an der Universität Cambridge. Zuletzt erschien sein Buch »The Profiteers: How Business Privatizes Profits and Socializes Costs« bei PublicAffairs, 2024.

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