Der Kanzler hat ein Problem mit dem »Stadtbild« und seit Tagen wird darüber debattiert. Der Anlass: Nachdem Merz seine Regierung kürzlich für den Rückgang der Asylanträge in Deutschland gelobt hatte, fügte er hinzu: »Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.«
Merz meint Geflüchtete, diskriminiert mit seiner Aussage aber alle, die nicht weiß sind oder nicht »deutsch« aussehen. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ließ verlauten: »Das Stadtbild muss sich wieder verändern.« Die Konservativen folgen damit einmal mehr der AfD, deren Chef Jörg Meuthen bereits 2017 klagte: »Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, nur noch vereinzelt Deutsche.«
Die Aussage ist nicht nur rassistisch, die Freunde eines »bereinigten« Stadtbildes verstehen nicht, dass Migrantinnen und Migranten längst die deutsche Wirtschaft am Laufen halten. Dabei sind die städtischen Räume für das Wirtschaftswachstum besonders wichtig, wie das ifo-Institut erklärt. Der Kanzler muss also wählen: zwischen einem »reindeutschen« Stadtbild und seinem erklärten Ziel, Deutschland »wieder auf Wachstumskurs zu bringen«. Denn seine Aussagen diskriminieren alle Menschen mit Migrationsgeschichte.
Deutschland ist ein Einwanderungsland
Großstädte nehmen »eine bedeutende Rolle für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung ein«, erklärt das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo). In der stadt- und regionalökonomischen Forschung sind die Vorteile räumlicher Konzentration belegt: Sogenannte Agglomerationsvorteile entstehen durch die räumliche Ballung besonders produktiver Unternehmen und qualifizierter Beschäftigter und führen zu Wissensaustausch, Innovationen und Produktivitätsgewinnen. Sehr viele Bereiche der städtischen Wirtschaft profitieren dabei von der Zuwanderung. »Aufgrund des demografischen Wandels fehlen immer mehr Fachkräfte in wichtigen Branchen«, so das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW). »Eine gut gesteuerte Einwanderung kann nicht nur offene Stellen besetzen, sondern auch die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft stärken.« Laut IW tragen Migrantinnen zum Beispiel in Frankfurt am Main dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der Finanz- und Dienstleistungsbranche zu sichern. Migrantinnen und Migranten sind im Schnitt jünger als die einheimische Bevölkerung. Dadurch stabilisieren sie das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnerinnen.
Gefragt sind die Zugewanderten aber nicht nur als gut bezahlte Fachkräfte, sondern auch als Dienstleistungsproletariat: Laut Ifo-Institut weise das Beschäftigungswachstum insbesondere in Großstädten »zunehmend Merkmale einer Polarisierung auf«. Zum einen nähmen Hochlohnberufe deutlich zu, zum Beispiel in IT, Finanzdienstleistungen und unternehmensnahen Dienstleistungen, die von Wissensökonomie und Agglomerationsvorteilen profitierten. »Zum anderen expandieren personenbezogene Dienstleistungen eher am unteren Ende der Lohnverteilung, etwa in Gastronomie, Einzelhandel, Kinderbetreuung und Pflege.« Und hier sind besonders viele Migrantinnen und Migranten tätig. Die Tatsache, dass sie in der Konkurrenz um Wohnraum häufig unterliegen und sich keine Wohnung in der Stadt leisten könnten, bedroht laut Ifo inzwischen sogar das Wirtschaftswachstum in den Städten, das von schlecht bezahlter Arbeit abhängt.
Abonniere unseren kostenlosen Newsletter, um diesen Text weiterzulesen:
Zum NewsletterGibt’s schon einen Account? Login
