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Das Wirtschaftsmagazin

Abenomics oder Takanomics? Japans Wirtschaft steht vor dem Wendepunkt

Bald könnte Japan eine neue Premierministerin haben und damit womöglich auch eine neue Finanzpolitik. Deutschland sollte daraus lernen.

4 Minuten Lesedauer

Sanae Takaichi ist zur Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei gewählt worden. Credit: IMAGO/Kyodo News

Zwischen Deutschland und Japan gibt es einige strukturelle Ähnlichkeiten: Beide Länder gehören zu den hochentwickelten Industriestaaten. Beide Gesellschaften altern schnell, die Bevölkerungen schrumpfen, und das Produktivitätswachstum stagniert. In beiden Fällen gilt die exportorientierte Industrie seit Jahrzehnten als Grundlage des Wohlstands. Doch ebenso gibt es gewaltige Unterschiede – vor allem in der Finanzpolitik. Im Gegensatz zu Deutschland setzte Japan hier jahrzehntelang auf Expansion. Bald könnte es nach den Wahlen einen Umbruch geben.

Japans expansive Finanzpolitik

Deutschland hat seit Einführung der Schuldenbremse »fiskalische Disziplin« zu einem zentralen finanzpolitischen Leitmotiv gemacht. Unter dem Schutz des Euro übernahm das Ausland die Rolle der Nachfragelokomotive und des Schuldenmachens für Deutschland – in der Spitze erreichte der deutsche Leistungsbilanzüberschuss in den 2010er Jahren 8 Prozent des BIP und ist heute mit nahezu 6 Prozent immer noch exorbitant hoch. In Japan hingegen betrug der Überschuss in den vergangenen Jahrzehnten lediglich zwischen 2 und 4 Prozent des BIP. Da die privaten Haushalte und Unternehmen in Japan sparten, stemmt sich die Regierung seit den 1990er Jahren mit einer dauerhaft expansiven Fiskalpolitik gegen die Wachstumsschwäche. Die Staatsverschuldung beträgt inzwischen ungefähr 240 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – die höchste Quote unter den Industriestaaten. Dennoch ist es bislang nicht zu einer Staatsschuldenkrise gekommen, da die Schulden im Wesentlichen durch inländische Investoren gehalten werden und die Zentralbank hinter dem Programm stand. Zuletzt haben jedoch die Renditen für langlaufende japanische Staatsanleihen spürbar angezogen, da die Bank of Japan ihre ultralockere Geldpolitik etwas zurückfuhr und die Anleihekäufe reduzierte.

Politischer Umbruch

Vor diesem Hintergrund war die kürzliche Wahl von Sanae Takaichi zur Vorsitzenden der Liberaldemokratischen Partei von besonderer Bedeutung. Sie galt bislang mit hoher Wahrscheinlichkeit als künftige erste Premierministerin Japans – die Wahl dazu sollte ursprünglich am 15. Oktober stattfinden. Allerdings hat sich die politische Lage durch den kurzfristigen Rückzug des bisherigen Koalitionspartners Komeito deutlich verändert. Die Partei kündigte an, die Regierungskoalition mit der LDP aufzulösen, was Takaichis Chancen auf das Amt der Ministerpräsidentin erheblich trübt.

Takaichi ist in jedem Fall eine erfahrene Politikerin, die lange in unterschiedlichen Kabinettsfunktionen tätig war, und gilt als enge Vertraute des früheren Regierungschefs Shinzo Abe, der im Sommer 2022 bei einer Wahlkampfrede erschossen wurde.

In der Wirtschaftspolitik sprach sich Sanae Takaichi mehrfach für eine Fortführung von »Abenomics« aus, einer Kombination aus expansiver Fiskalpolitik, sehr niedrigen Zinsen und klassischen »Strukturreformen«. Abenomics war Anfang der 2010er Jahre konzipiert worden, um Japans Wirtschaft aus der Deflation zu holen. Ziel war es, durch staatliche Ausgaben die Nachfrage anzukurbeln und mit einer expansiven Geldpolitik und »strukturellen Maßnahmen« wie beispielsweise der Deregulierung des Arbeitsmarkts mehr Wachstum zu erzeugen. Unter Abe gelang es zwar, die Deflation zu entschärfen und die Unternehmensgewinne zu steigern. Doch das Wachstum der Löhne und die Kaufkraft der privaten Haushalte blieben hinter den Erwartungen zurück. 2016 riet der Internationale Währungsfonds (IWF) deshalb sogar, dass Japan eine stärkere Anhebung des Mindestlohns nutzen sollte, um eine bessere wirtschaftliche Dynamik in Gang zu setzen.

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Patrick Kaczmarczyk

Dr. Patrick Kaczmarczyk ist Ökonom an der Universität Mannheim und Redakteur bei Surplus. Zuletzt war er Leiter für volkswirtschaftliche Grundsatzfragen beim Wirtschaftsforum der SPD und UNO-Berater.

#4 – Kampf um Zeit

Freizeit ist kein Luxus. Wer sie angreift, gefährdet Wohlstand und Freiheit.

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