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Armutsforscher Butterwegge: »Not, Elend und Verwahrlosung werden zunehmen«

Das Statistische Bundesamt beschönigt die Armutszahlen, kritisiert Armutsforscher Christoph Butterwegge. Not und Elend werden sich verschärfen.

6 Minuten Lesedauer
Cjhrsitoph Butterwegge in Köln. Credit: IMAGO/epd

Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler und Deutschlands prominentester Armutsforscher. Zusammen mit 29 anderen Forschenden hat er einen Protestbrief an die Präsidentin des Statistischen Bundesamts geschrieben. Der Vorwurf: Das Amt beschönige die Armutszahlen.

Matthias Ubl: 15,5 Prozent der Menschen in Deutschland waren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2024 von Armut gefährdet, 2023 waren es noch 16,6 Prozent. Hat sich die Armut verringert? 

Christoph Butterwegge: Nein, man hat die Berechnungsmethode umgestellt, um die europäische Vergleichbarkeit besser herstellen zu können. Ich möchte aber nicht Deutschland mit Litauen oder mit Luxemburg vergleichen, weil die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen stark unterscheiden. Ich will die Armut in Deutschland von heute mit der vor zehn oder 15 Jahren vergleichen, um fundierter beurteilen zu können, ob Regierung und Parlament die richtigen Gegenmaßnahmen ergriffen haben. Und das ist jetzt schwerer möglich, weil das Statistische Bundesamt diese Daten des Mikrozensus-Kernprogramms auf seiner Homepage gelöscht hat. Man kann die Zeitreihe nicht mehr zurückverfolgen. Die Armut ist also nur scheinbar gesunken und das hat auch den politischen Hintergrund, dass man die Armut kleinrechnen will. Wenn man die alte Berechnungsmethode zugrunde legt, kommen eben nicht 15,5 Prozent, sondern 16,6 Prozent heraus. Das Statistische Bundesamt hat uns übrigens geantwortet, dass man daran nichts zu ändern gedenkt. 

Die Armut wird ihrer Meinung nach also bewusst geschönt? 

Ja – das ist Desinformation, wenn nicht Manipulation, die sich auch im Sprachgebrauch niederschlägt. Ich bin im Wissenschaftlichen Gutachter-Gremium für den Sechsten und auch für den im Koalitionsvertrag noch für dieses Jahr angekündigten Siebten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Aus den Diskussionen im Vorfeld weiß ich, dass es Bestrebungen gibt, die Begriffe »Arme« und »Reichtum« zu entsorgen. Statt von den Armen ist da von »Niedrigeinkommensbeziehern« die Rede und »Reichtum« wird von »Wohlhabenheit« ersetzt. Wenn sich dieser Orwell’sche Sprachgebrauch durchsetzt, wird die gesellschaftliche Realität weiter vernebelt. Schließlich findet unser Konflikt mit dem Statistischen Bundesamt inmitten einer größeren politischen und gesellschaftlichen Entwicklung statt, einem sozialen Klimawandel nach rechts. Das Soziale hat nicht mehr den Stellenwert wie früher, auch wegen der immer stärkeren Aufrüstung.

Die gesellschaftliche Härte wird durch die Rüstungsausgaben verschärft?

Die Alternative der Gesellschaftsentwicklung lautet: Rüstungs- oder Sozialstaat. Wenn immer stärker auf Hochrüstung gesetzt wird, bleibt für Soziales, Bildung und Kultur wenig Geld übrig. Und in diesem Kontext ist es natürlich für die Bundesregierung ganz nützlich, wenn die Armut kleingeredet oder kleingerechnet wird. Es gibt ja bereits jetzt Kürzungen, die übrigen stattfinden, ohne von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. So ist etwa der Regelbedarf beim Bürgergeld in diesem Jahr nicht gestiegen und wird auch 2026 nicht steigen, obwohl sich die Lebenshaltungskosten aufgrund der Inflation weiter erhöhen. Bei den ohnehin geringeren Asylbewerberleistungen ist sogar eine Kürzung vorgenommen worden, was beim Bürgergeld aus rechtlichen Gründen nicht möglich war. 

Plant die Bundesregierung nicht auch Sinnvolles gegen Armut und soziale Ungleichheit?

Man hat ausschließlich die Kinderarmut im Blick. Daher will man den Teilhabebeitrag für arme Familien von 15 auf 20 Euro im Monat erhöhen und das Startchancenprogramm ausweiten. Hierdurch sollten bisher Schulen – besonders in den sozial benachteiligten Gebieten – in den nächsten zehn Jahren besser ausgestattet werden. Davon sollen künftig auch die Kitas profitieren. Natürlich ist das sinnvoll, auch wenn die Mittel gerade mal reichen, um einen Schulsozialarbeiter oder in diesem Falle eine Erzieherin einzustellen. Das wird aber nicht die Armut dort beseitigen. Auch wenn es natürlich besser ist, als wenn gar nicht geschieht.

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Christoph Butterwegge

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt und zuletzt die Bücher „Deutschland im Krisenmodus“ sowie „Umverteilung des Reichtums“ veröffentlicht.

Matthias Ubl

Matthias Ubl ist Chef vom Dienst bei Surplus. Als Journalist arbeitete er unter anderem für »Die Zeit« und die »FAZ«. Er ist Host des Podcast »Jacobin Talks«.

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