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Das Wirtschaftsmagazin

Die Berliner SPD schafft keine echte Vergesellschaftung

Der Gesetzentwurf der Berliner SPD für Vergesellschaftung will keine echte Gemeinwirtschaft. Sie handelt damit gegen den Willen der Berliner Bevölkerung.

6 Minuten Lesedauer
SPD-Fraktionsvorsitzender Raed Saleh und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey. Credit: IMAGO/Metodi Popow

Am 26. September 2021 stimmten 59,1 Prozent der Wählenden in einem Volksentscheid für die Vergesellschaftung der Immobilien großer Wohnungsunternehmen in Berlin. Der Auftrag war klar: Haben Konzerne über 3.000 Wohnungen in Berlin, sollen diese in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt und unter demokratischer Beteiligung der Berlinerinnen und Berliner bewirtschaftet werden. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen hatte hierfür in einer beispiellosen politischen Kampagne Artikel 15 des Grundgesetzes (GG) erstmals politisch fruchtbar gemacht. Eine in Reaktion auf den Volksentscheid vom Berliner Senat eingesetzte Expertinnenkommission kam 2023 mit deutlicher Mehrheit zu dem Ergebnis, dass dieses Vorhaben rechtlich machbar ist, wenn das Land Berlin ein Gesetz für die Vergesellschaftung von Immobilien erlässt, mit dem klare Gemeinwirtschaftsziele verfolgt werden. 

Statt diesen von der Expertinnenkommission vorgeschlagenen Weg zu verfolgen, legt die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus nun, fast vier Jahre nach dem Volksentscheid, ein »Vergesellschaftungsrahmengesetz« vor. In diesem geht es nicht nur um Immobilien, sondern – ambitioniert – auch um Energie, Wasser, Wärme, Abwasser, Abfall, öffentlichen Verkehr, Kommunikationswege und Gesundheitsdienste. Das sind allesamt Bereiche, zu denen es mit Ausnahme von Wohnraum bislang keine verlässliche vergesellschaftungsbezogene Grundlagenforschung gibt. 

Was von den SPD-Autoren des Rahmengesetzentwurfes als juristische Vorbereitung der Sozialisierung angepriesen wird, zeigt bei genauerer Betrachtung, dass die SPD offenbar nicht verstanden hat, was Gemeinwirtschaft ist. Der Entwurf beschreibt nicht mehr als eine diffuse Regulierungsphantasie. Bloße Wirtschaftsregulierung hat allerdings mit Vergesellschaftung nach dem Grundgesetz wenig zu tun und ist unter Art. 15 GG unzulässig. Mit ihrem Vorschlag versucht die SPD nun öffentlich, den Sinn und Zweck von Vergesellschaftung zu »zerreden« und davon abzulenken, dass sie den Volksentscheid von 2021 niemals umsetzen wird. 

Paradoxerweise möchte sie mit dem Entwurf gleichzeitig Anschlussfähigkeit ins linke politische Lager vortäuschen. Dieses kalkulierte Manöver wird spätestens vor den Verfassungsgerichten scheitern – was die SPD-Führung allem Anschein nach zugunsten kurzfristiger Aufmerksamkeitshascherei in Kauf nimmt oder sogar beabsichtigt. Entgegen den SPD-Beteuerungen wird dieser Vorschlag weitere Mieterhöhungen im Rekordtempo nicht verhindern. Denn der vorgelegte Entwurf bietet keine neue Lösung für das lange bekannte Problem.

Der historische Zweck von Vergesellschaftung

Was die SPD vorschlägt, ist unter Artikel 15 GG rechtlich nicht möglich, weil es keine Vergesellschaftung ist. Um zu verstehen, wieso und weshalb der vorgelegte Entwurf ein Bluff ist, ist ein grundlegendes Verständnis von Artikel 15 GG hilfreich.

Dieser erlaubt die Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft. Er wurde 1949 bei der Redaktion des Grundgesetzes bewusst zur wirtschaftspolitischen Offenhaltung aufgenommen, durch Betreiben der SPD. Die Verfassungsmütter und -väter entschieden sich damit gegen eine Festlegung auf eine bestimmte Wirtschaftsordnung. Statt die Marktwirtschaft zu garantieren, schufen sie einen Rahmen, in dem auch kollektive, gemeinwirtschaftliche Wirtschaftsformen möglich bleiben sollten. Hintergrund waren die Erfahrungen aus Weimarer Republik und NS-Zeit: Es sollte eine Wirtschaftsordnung ermöglicht werden, die demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Macht erlaubt. Denn es waren gerade die Wirtschaftseliten mit ihrer ökonomischen Macht gewesen, die die Machtübertragung auf das NS-Regime ermöglicht hatten. Artikel 15 GG ist daher das Ergebnis eines Grundsatzkompromisses. Er ermächtigt den Bund und die Länder jeweils konkurrierend, ein Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen.

Anders als bei Enteignungen nach Artikel 14 GG, bei denen es ausschließlich um die staatliche Eigentumserlangung zur staatlichen Aufgabenerfüllung geht, zielt Artikel 15 GG auf die kollektive Neuordnung der Verfasstheit von Eigentum ab. Die Vergesellschaftung soll Eigentumsverhältnisse im Ganzen umstrukturieren und privatnützige, auf Eigentumskonzentration basierende Machtstrukturen und Verwertungslogiken zugunsten einer gemeinwohlorientierten Nutzung aufheben. 

Was Gemeinwirtschaft ist

Vergesellschaftung passiert rechtlich nur dann, wenn Gemeinwirtschaft begründet wird. Gemeinwirtschaft ist in Artikel 15 GG nicht definiert. Klar ist aber: Gemeinwirtschaft meint nicht bloß »Eigentumsübergang auf den Staat«  oder »keine Gewinne mehr«, sondern, dass ein anderes wirtschaftliches Prinzip verfolgt werden muss, eine andere Form des Wirtschaftens. Auch Gemeineigentum als Form von Gemeinwirtschaft darf nicht einfach nur Staatseigentum sein – entscheidend sind die Fragen von Mitbestimmung und Zugang. Gemeinwirtschaft transformiert die Struktur in einem Sektor der Volkswirtschaft, weg von renditeorientierter Nutzung, hin zu kollektiver, demokratischer Bedarfsdeckung. Weite Teile der Wissenschaft und die Berliner Expertinnenkommission sind sich einig, dass jede Form von Gemeinwirtschaft in ihrem transformativen Charakter so weitgehend sein muss, dass sie sich grundsätzlich von Privateigentum am Markt unterscheidet. 

Diese Transformation kann die Rechtsform, die Finanzierung, die Verwertungsziele und die Produktion von Unternehmen beeinflussen. Die bloße staatliche Kontrolle über Eigentum oder staatlicher Einfluss auf Unternehmensentscheidungen reichen für die Begründung von Gemeinwirtschaft nicht aus. Grundlegend gilt: Wer von Gemeinwirtschaft spricht, muss auch die Machtfrage stellen und klären, wie die gemeinwohlorientierte Steuerung von Wirtschaftssektoren gegen privatwirtschaftliche Interessen durchgesetzt und abgesichert werden soll. 

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Armin Rothemann

Armin Rothemann ist Koordinator für das Vergesellschaftungsgesetz und Sprecher bei Deutsche Wohnen & Co enteignen. Er ist Jurist für Immobilienrecht und Vergesellschaftung.

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