In den ersten Wochen ihrer Amtszeit hat die Regierung von Friedrich Merz den Menschen, die nach Deutschland kommen wollen, um zu leben, eine ganz klare Botschaft vermittelt: »Tue es nicht.« Aber für diejenigen, die arbeiten wollen, lautet die Botschaft: »Wir brauchen euch.«
Der Ansatz ist weniger schizophren, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Es ist im Grunde eine Wiederbelebung der Denkweise des Gastarbeiter-Programms der 1950er- und 60er-Jahre, als Deutschland Arbeitskräfte suchte, ohne deren menschliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Aber das hat damals soziale Spannungen ausgelöst, und eine Wiederholung zum jetzigen Zeitpunkt würde diese noch verschlimmern. Das liegt daran, dass die Bedingungen völlig anders sind. Während des Wirtschaftswunders brauchte Deutschland einfache Arbeitskräfte für Fließbänder, um zu wachsen. Heute braucht das Land Zuwanderung, damit der Staat seine grundlegenden Aufgaben überhaupt noch erfüllen kann – etwa ältere Menschen würdevoll zu pflegen und Kinder verlässlich zu bilden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die politische Klasse – insbesondere Merz mit seiner langjährigen Faszination für das chauvinistische Konzept der »deutschen Leitkultur« – kaum Verständnis für die komplexen Zusammenhänge der Integration erkennen lässt. Bei der Übergabe des Deutschen Nationalpreises an Özlem Türeci und Uğur Şahin – die türkischen Einwanderer hinter dem Covid-Impfstoff-Pionier BioNTech – sprach Merz mit der Stimme des Kommerzes über die Notwendigkeit von Migration: »Wir brauchen Fachkräftezuwanderung als Fortschrittsmotor.« Und weiter: »Ideologien und Ideologen, die das infrage stellen, gefährden nicht nur den Wohlstand unseres Landes, viel schlimmer noch, sie gefährden in ihrer Engstirnigkeit die Zukunft unserer freiheitlichen Ordnung.«
Die Pläne der Regierung widersprechen den Worten von Merz
Aber die Maßnahmen seiner Regierung wirken weit weniger einladend. Das Festhalten an der Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze trotz eines Gerichtsbeschlusses stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar. Statt das Land zu führen und dem Rassismus entgegenzutreten, den viele Wähler offen äußern, versucht die Regierung, ihn nur neu zu verpacken – in einer Form, die anschlussfähig wirkt. »Ausgerechnet Regierungsverantwortliche höhlen unsere Demokratie aus, vertiefen die politische Spaltung und verstärken den Zulauf zur AfD«, schrieb DIW-Präsident Marcel Fratzscher in einem Blogpost.
Abonniere unseren kostenlosen Newsletter, um diesen Text weiterzulesen:
Zum NewsletterGibt’s schon einen Account? Login