Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob Ihr Kind ein langlebiges Konsumgut ist? Oder mit welchem Bildungsgrad Ihres Partners Ihr Lebenseinkommen maximiert würde? Wenn Sie kein Ökonom sind, vermutlich eher nicht. Doch ob wir wollen oder nicht, die Familie erfüllt ökonomische Funktionen: Auf der einen Seite werden die großen Vermögen der Unternehmerdynastien steueroptimiert vererbt, auf der anderen müssen Familien bis weit in die Mittelschicht hinein die Lasten einer bröckelnden Daseinsvorsorge und des Wohnraummangels ausgleichen. Für viele Menschen fühlt es sich jedoch falsch an, die Familie explizit nach wirtschaftlichen Kriterien zu bewerten. Ist sie nicht einer der letzten Orte, an denen Liebe und gegenseitige Fürsorge kultiviert werden?
Ganz anders sah das die neoliberale Theorie in der Wirtschaftswissenschaft, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde und die westliche Familienpolitik bis heute prägt. Und mit keinem anderen Namen ist dieses Projekt mehr verbunden als mit dem US-amerikanischen Nobel-Gedächtnispreisträger Gary S. Becker. So wie Keynes die Makroökonomie begründete, stampfte Becker mit seinem Kosten-Nutzen-Ansatz ganze Zweige der Mikroökonomie aus dem Boden. Ob man ihm nun zustimmt oder kritisiert, es ist schwierig, in der modernen VWL an ihm vorbeizukommen.
Becker trieb die Sorge um, dass die sozialen Umwälzungen der Nachkriegszeit – die Ermächtigung von Frauen und Minderheiten sowie der Anstieg von Scheidungen und Alleinerziehenden – die bürgerliche Kleinfamilie »beinahe zerstört« hätten. Sein Ziel war es, die Eigen- und Familienverantwortung zu stärken – und den Sozialstaat abzubauen. Wie lassen sich Beckers Werk und die neoliberale Familienpolitik, die es inspirierte, ein halbes Jahrhundert später bewerten?
Von Babys und Cadillacs
Gary Becker, der Mitglied der berühmt-berüchtigten »Chicagoer Schule« um Milton Friedman und George Stigler war, wurde für seinen Ansatz bekannt, die neoklassische Preistheorie samt ihrer oft merkwürdigen Annahmen »erbarmungslos und unerbittlich« auf weitere Bereiche der Gesellschaft anzuwenden, die bisher als »unökonomisch« galten und zum traditionellen Revier der Soziologie gehörten. Dazu zählten unter anderem die Familie und die Bildung von Humankapital sowie Diskriminierung, Kriminalität und Bestrafung. Er wollte damit nicht weniger als einen umfassenden Erklärungsansatz für menschliches Verhalten vorlegen. Der Kosten-Nutzen-Ansatz war Beckers Hammer, dem jede Entscheidungssituation wie ein Nagel vorkam.
So kam er dazu, die Familie als eine Produktionseinheit, wie eine kleine Firma, zu betrachten. Männer und Frauen fänden auf Heiratsmärkten zusammen, um auf Basis der jeweiligen Präferenzen und Informationen den erwarteten gemeinsamen Nutzen durch eine Eheschließung zu maximieren. Dazu gehöre, sich jeweils auf entweder Haus- oder Lohnarbeit zu spezialisieren, um den größten Nutzen aus effizienter Arbeitsteilung zu erzielen. Die Quantität und Qualität der Kinder hänge – wie beim Kauf eines Cadillacs – von den Ressourcenbeschränkungen und dem erwarteten Nutzen der Eltern ab. Eine Konsequenz der Theorie: Je höher die gesetzliche Rente ist, desto weniger Kinder werden geboren. Man kann Gary Becker zumindest keine unnötige Sentimentalität vorwerfen.