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Das Wirtschaftsmagazin

Hyperinflation durch neue Schulden? 4 Sichtweisen auf nachhaltige Staatsfinanzen

Nimmt der Staat zu viele Schulden auf? Ob das tragfähig ist, ist eine Frage des Finanzsystems. Das entscheidende Stichwort lautet »Fundierung«.

6 Minuten Lesedauer

Was passiert, wenn der Staat sich stärker verschuldet? Credit: IMAGO/Depositphotos

Noch vor Antritt der neuen schwarz-roten Bundesregierung wurde ein neues Schuldenpaket beschlossen. Der alte Bundestag hat dafür das Grundgesetz geändert und eine finanzpolitische 180-Grad-Wende eingeleitet. Es ist davon auszugehen, dass sich die Gesamtverschuldung Deutschlands dabei in den nächsten Jahren um fast eine Billion Euro erhöhen wird. 

Welche Implikationen der Anstieg der nominellen Gesamtverschuldung hat, wird seitdem kontrovers diskutiert. Die Meinungen reichen von dem Standpunkt, dass die aktuelle Finanzpolitik zu Hyperinflation führen würde, bis zu dem, dass der Anstieg des Verschuldungsniveaus keinen großen Unterschied mache. Vier verschiedene, grundlegende Sichtweisen auf Staatsverschuldung führen zu diesen unterschiedlichen Auffassungen. 

Die Logik der schwäbischen Hausfrau

Eine Einschätzung, die man in der deutschen Debatte häufig antrifft, besagt: Wenn der Staat Schulden aufnimmt, gibt er mehr Geld aus, als er einnimmt. Da die Ausgaben die Einnahmen übersteigen, lebe man »über seinen Verhältnissen«. Häufig wird für diese Sichtweise die Metapher der »schwäbischen Hausfrau« bedient. Diese verbreitete sich, nachdem Angela Merkel 2008 sie als Ideal für eine vorbildliche Haushaltsführung hervorgehoben hatte. Dabei setzt diese Auffassung den Staatshaushalt effektiv mit einem Privathaushalt gleich.

Aus dieser Perspektive sind neue Staatsschulden per se problematisch. Denn es dominiert die Vorstellung, dass Schulden, die man heute aufnimmt, morgen zurückzuzahlen seien. Dafür müsse in der Zukunft entsprechend weniger im regulären Haushalt ausgegeben werden. So begründen Vertreterinnen und Vertreter das Argument, die Aufnahme von Schulden stelle grundsätzlich eine »Belastung für zukünftige Generationen« dar.

Dem Idealzustand eines ausgeglichenen Staatshaushalts stehen in dieser Vorstellung vor allem Politikerinnen und Politiker im Weg, die mit der Aufnahme neuer Schulden heute Wahlgeschenke auf Kosten der Zukunft finanzieren wollen. Dieses Bild liegt auch der heute im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse zugrunde, die nach der globalen Finanzkrise eingeführt wurde. Ihr erklärtes Ziel ist es, Schulden so weit wie möglich zu vermeiden – abgesehen von akuten Notlagen. 

Schulden zur Finanzierung von Investitionen

Eine andere Einschätzung verwirft das Bild, dass Staatsschulden grundsätzlich abzulehnen seien, und fragt stattdessen danach, wofür das Geld ausgegeben wird. Aus dieser Sicht ist es in Ordnung, wenn der Staat Schulden aufnimmt, sofern diese für Investitionen ausgegeben werden. Denn durch diese schafft der Staat »reale Werte« wie etwa Schulen und Infrastruktur, die den zukünftigen Generationen zugutekommen. Diese können dann als Grundlage verwendet werden, um das Geld zu erwirtschaften, mit dem die Schulden zurückgezahlt werden können. 

Hierin wird der Geist der vorherigen Schuldenbremse sichtbar, die von 1969 bis 2009 im Grundgesetz verankert war. Sie basierte auf der sogenannten »goldenen Regel«, wonach zusätzliche Staatsverschuldung gerechtfertigt ist, wenn durch sie ein mindestens ebenso hoher Anstieg des öffentlichen Vermögens einhergeht, das dann auch den zukünftigen Generationen zugutekommt. 

Ein zentraler Kritikpunkt an diesem Ansatz ist die Schwierigkeit, zu definieren, was genau als Investition gelten soll. Beim Bau von Bahnstrecken oder Brücken ist es relativ eindeutig, dass sie Investitionen in öffentliche Güter sind. Das ist jedoch nicht immer so klar: So gelten klassischerweise Schulgebäude als Investitionen, aber nicht die Lehrerinnen und Lehrer, die in diesen unterrichten. 

Konstante Verschuldungsquote

Wer tiefer in die Welt der Volkswirtschaftslehre einsteigt, wird zu folgender, etwas technischerer Einschätzung kommen: Es ist in Ordnung, wenn sich der Staat verschuldet, sofern die Schuldenquote – die Gesamtschulden geteilt durch das Bruttoinlandsprodukt – nicht unkontrolliert ansteigt. 

Aus dieser Sicht kommt es gar nicht so sehr auf den Gesamtschuldenstand, sondern auf das Verhältnis der Schulden zur Wirtschaftsleistung an. Sofern die Wirtschaft mehr wächst als die Schulden, wird die relative Verschuldung geringer. Somit wächst man aus Schulden einfach nach und nach heraus. Aus diesem Grund sprechen Ökonominnen und Ökonomen eigentlich immer von der sogenannten Staatsschuldenquote. Diese ist auch der Bezugspunkt in den EU-Schuldenregeln.

Diese Herangehensweise beruht auf einer wichtigen Erkenntnis: Die »strukturelle Staatsverschuldung« wird heutzutage gar nicht zurückgezahlt. Wenn der Staat einzelne Schuldtitel, etwa Staatsanleihen, ausgibt, so haben diese eine vorher festgelegte Laufzeit, zum Beispiel zehn Jahre. Das heißt also, dass der Staat verspricht, dass diejenige Person, in deren Besitz sich die Staatsanleihe nach zehn Jahren befindet, diese samt Zinsen zurückgezahlt bekommt. Dem kommt der Staat so gut wie immer nach. Es ist aber davon auszugehen, dass der Staat für die Rückzahlung der Anleihe einfach eine neue Anleihe über den betreffenden Betrag ausgibt und damit die Schulden refinanziert. Es findet also die Rückzahlung des einzelnen Schuldtitels statt, nicht aber die Reduktion der Gesamtmenge an Schulden.

Hier sieht man die Grenzen der Logik der schwäbischen Hausfrau. Da staatliche Schulden gar nicht grundsätzlich zurückgezahlt, sondern refinanziert werden, macht die Behauptung, dass neue Staatsschulden automatisch eine Belastung von zukünftigen Generationen darstellen, wenig Sinn.

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Steffen Murau

Steffen Murau forscht als politischer Ökonom über das Geld- und Finanzsystem. Er leitet das OBFA-TRANSFORM-Projekt.

Moritz Kapff

Moritz Kapff studiert Politische Ökonomik und ist Research Assistant im OBFA-TRANSFORM Projekt.

#5 – Die Ökonomie des Überlebens

Mit dem Klimakollaps droht eine Verwüstung des Planeten. Nur ein anderes Wirtschaften kann ihn aufhalten.

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