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Das Wirtschaftsmagazin

Die Interessen der Arbeiter müssen im Zentrum stehen

Linke stehen vor einer großen Aufgabe: Gegen den Faschismus müssen sie den Konflikt zwischen den Arbeitenden und den Reichsten wieder politisieren.

4 Minuten Lesedauer

In den USA demonstriert ein breites Bündnis gegen die US-Oligarchie und die rassistische Politik Trumps. Credit: IMAGO/ZUMA Press Wire

Ein Gespenst geht um im Westen: das Gespenst einer Arbeiterklasse, der die politische Heimat genommen wurde. Jahrzehntelang haben Mitte-Links-Kräfte, verführt durch die Sirenengesänge des »Dritten Weges« von Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder, die Sprache des Klassenkampfs über Bord geworfen.

In ihrem Bestreben, sich zu profilieren und sich als effizientere und gerechtere Manager des Kapitalismus zu geben, sprachen sie nicht mehr von Ausbeutung und ignorierten den inhärenten Antagonismus – ja sogar die Gewalt – in der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit. Sie verbannten Sprache, Verhaltensweisen, Lebensweise und Ambitionen der Arbeiterinnen und Arbeiter vollständig aus dem politischen Diskurs, um ihre ehemalige Wählerschaft später dann auch noch als »beklagenswert« zu verunglimpfen.

Wenn sozialer Abstieg und Mittellosigkeit in weiten Gebieten um sich greifen, wo sich eine einst stolze Arbeiterklasse nun im Stich gelassen fühlt und die etablierten Parteien wegschauen, entsteht die Sehnsucht nach einem neuen Projekt zur Wiederherstellung der Würde – nach einer Erzählung, die ein kollektives »Wir« gegen ein mächtiges »Sie« ausspielt. Vor einem Jahrzehnt trat dann ein bösartiger Stimmenfänger mit jahrhundertelanger Erfahrung darin, solche Leerräume aufzufüllen, auf die Bühne: die fremdenfeindliche extreme Rechte.

Bewegungen und Anführer – von Zentristen ungeschickt als »populistisch« bezeichnet – haben diese Sehnsucht nicht erzeugt, sondern nutzten sie lediglich mit dem Zynismus eines erfahrenen Monopolisten aus, der einen unerschlossenen Markt entdeckt hat. Von den Arbeitervierteln im Süden von Piräus, nur einen Steinwurf von dem Ort entfernt, an dem ich dies schreibe, bis zu den ehemals »roten« Vororten von Paris oder Marseille können wir beobachten, wie sich die Wählerschaft von kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien zu den von den politischen Erben Mussolinis und Hitlers gegründeten Parteien hinbewegt. Wie ihre Vorfahren geben sich diese politischen Chamäleons als Bannerträger einer entrechteten Arbeiterklasse aus. In den Vereinigten Staaten bilden unterdessen weiße Suprematisten, christliche Fundamentalisten, Technofeudalherren und enttäuschte ehemalige Wählerinnen und Wähler der Demokraten eine brisante Koalition, die bereits zweimal das Weiße Haus erobert hat.

Der von vielen angestellte Vergleich mit der Zwischenkriegszeit, kann uns in die Irre führen, wenn wir nicht vorsichtig sind, aber er ist durchaus zutreffend. Und obwohl die Tendenz der Linken, alle konservativen oder gemäßigten Gegner als Faschisten zu bezeichnen, unentschuldbar ist, bleibt die Tatsache bestehen, dass der Faschismus derzeit in der Luft liegt. Wie könnte es auch anders sein? Als die Arbeiterklasse im gesamten Westen im Stich gelassen wurde, war es ein Leichtes, ihre Hoffnungen mit dem Versprechen einer nationalen Wiedergeburt auf der Grundlage eines fiktiven Goldenen Zeitalters wiederherzustellen. 

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Yanis Varoufakis

Yanis Varoufakis ist ehemaliger griechischer Finanzminister, Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen.

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