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Das Wirtschaftsmagazin

Keine Nächstenliebe: Die neue Grundsicherung verschärft die Wohnungslosigkeit

Friedrich Merz sagt, in Deutschland müsse niemand obdachlos sein. Doch die Bürgergeld-Reform verschärft die Obdachlosigkeit.

4 Minuten Lesedauer

Immer mehr Menschen in Deutschland haben keine Wohnung (Symbolbild). Credit: IMAGO/Panama Pictures

Draußen ist es kalt, dunkel und rau. Da ist es doch zu Hause am schönsten. In Filmen, Songs und in der Werbung wird das traute Heim perfekt inszeniert. Zwischen Sofas mit flauschigen Decken und Kissen, einem reichlich gedeckten Esstisch, dem bunten Weihnachtsbaum und der privaten Keksbäckerei in der Küche tobt das Familienleben – die Tasse Tee immer in Griffweite. Das Ideal strahlt dieser Tage so stark, dass die Schatten derjenigen noch schärfer werden, die all das nicht haben.

Für ganz Deutschland spricht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe von alarmierenden Zahlen und warnt davor, dass es noch schlimmer wird:  2024 seien 1.029.000 Menschen in Deutschland wohnungslos gewesen. 264.000 Kinder, 300.000 Frauen und 465.000 Männer. Die Gesamtzahl ist allein in einem Jahr um elf Prozent gestiegen. Der Großteil der über eine Million wohnungslosen Menschen ist institutionell untergebracht, beispielsweise in Geflüchtetenunterkünften. 56.000 sind komplett ohne Obdach.

Ich bin als Kind noch mit dem Glauben aufgewachsen, dass in Deutschland niemand auf der Straße leben muss. Das ist eine der größten und zugleich offensichtlichsten Lügen unserer Gesellschaft. Menschen fallen auch im deutschen Sozialstaat rasant schnell durch das Raster und verlieren ihr Zuhause. Aber anstatt sich gesellschaftliches Versagen einzugestehen, ist es natürlich einfacher, den Einzelnen die Verantwortung zuzuschieben.

Drei schlechte Monate reichen oftmals, um alles zu verlieren. Und wenn wir ehrlich sind: Würden wir alle nicht lieber in einer Gesellschaft leben, in der es einem mal für einige Monate schlechtgehen kann, ohne dass man direkt Angst um sein Zuhause, seine Sicherheit und Gesundheit haben muss? Schließlich ist niemand von uns vor einer Kündigung, einer depressiven Episode, dem Verlust eines geliebten Menschen oder irgendeinem anderen Schicksalsschlag sicher. Das ist keine komplizierte Erkenntnis. Umso erschreckender ist, dass Menschen in schwierigen Lebenslagen nun noch schneller alleingelassen  und quasi im Eilverfahren auf die Straße gesetzt werden könnten. Trotz Warnungen von Sozialverbänden und Expertinnen hat das Bundeskabinett eine Woche vor Weihnachten die Abschaffung des Bürgergeldes beschlossen.

Die Grundsicherung sichert nicht die Wohnung

In der neuen Grundsicherung müssen Menschen ab dem ersten Tag eine »angemessene« Miete vorweisen, damit das Jobcenter sie übernimmt, während sie im Bürgergeld zumindest im ersten Jahr noch sicher war. Für Mieten, die das Amt als »angemessen« bewertet, sind in den wenigsten Städten tatsächlich noch Wohnungen zu finden. In Berlin beispielsweise gilt aktuell für Alleinstehende ein Richtwert von 449 Euro für die Bruttokaltmiete (Kaltmiete inklusive kalter Betriebskosten). Für vier Personen gelten 752,40 Euro als »angemessen«.

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Lara Schulschenk

Lara Schulschenk hat Soziologie in Frankfurt studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Sie war Reporterin für die Frankfurter Rundschau und Redakteurin für den SPIEGEL. Zuletzt erschien ihr Buch »No Sweet Home«.

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