In den vergangenen beiden Jahren gingen in der Industrie jeden Monat 10.000 Arbeitsplätze verloren. Die Industrieproduktion ist seit Langem kontinuierlich rückläufig, die Auftragseingänge stagnieren auf dem niedrigen Niveau der frühen 2010er Jahre, als die deutsche Wirtschaft durch die Schwäche im Euroraum kein Wachstum verzeichnete. Die Meldungen von Produktionsauslagerungen, Werksschließungen und weiterem Stellenabbau häufen sich.
Der einzige Hoffnungsschimmer aus Sicht vieler Politiker, Journalisten und Unternehmen ist die Rüstungsindustrie. Die Nachfrage boomt, die Kapazitäten sind ausgelastet, ein Ende des Aufschwungs ist nicht in Sicht. Über die kommenden Jahre hinweg sind die Auftragsbücher üppig gefüllt. Der Bau und die Eröffnung neuer Fabriken machen Schlagzeilen. Viele Unternehmen, denen die Nachfrage weggebrochen ist, drängen in den Sektor und versuchen, von dem Boom zu profitieren. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist das verständlich, denn die Alternativen sind mangels ausbleibender Nachfrage und hoher Unsicherheiten mau. Volkswirtschaftlich hingegen ist diese Hoffnung auf Sand gebaut.
Rahmenbedingungen
Die Politik hat dafür auf europäischer, wie auf nationaler Ebene die Weichen gestellt, dass es keine fiskalpolitischen Grenzen für Rüstungsausgaben gibt. Die Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse wird die Ausgaben in dem Bereich von etwa 100 Milliarden im kommenden Jahr auf über 150 Milliarden im Jahr 2029 ansteigen lassen. Ökonomen, die sonst bei jedem Euro Staatsausgaben vor den Risiken für die fiskalische Tragfähigkeit warnen, stellen sich größtenteils hinter die unbegrenzten Ausgaben für die Verteidigung. Auswirkungen auf die Inflation, höhere Belastungen durch zukünftige Steuern, die Abneigung gegenüber industriepolitischen Interventionen, die Gefährdung der Generationengerechtigkeit – all die Gesetze der marktliberalen Ökonomik gelten nicht für die Rüstungsausgaben.
Die große Frage, die viele Journalisten und auch die Öffentlichkeit umtreibt, ist, inwiefern der Boom in der Rüstungsindustrie die Nachfrageschwäche in der Industrie und Wirtschaft insgesamt auffangen kann. Schließlich werden wichtige Grundstoffe nachgefragt werden, der Maschinenbau wird von der Aufrüstung profitieren und Beschäftigte, die ihre Anstellung verlieren, hoffen möglicherweise, in der Rüstungsindustrie unterzukommen.
Die Empirie mahnt zur Vorsicht
Vor einigen Monaten haben Tom Krebs und ich die Literatur über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Rüstungsausgaben untersucht. Der Blick in die Literatur fällt entsprechend ernüchternd aus. Unsere Studie zeigt, dass der kurzfristige Fiskalmultiplikator militärischer Ausgaben für Deutschland bei höchstens 0,5 liegt – und möglicherweise sogar darunter liegen wird. Mit anderen Worten: Ein zusätzlicher Euro für die Rüstungsindustrie wird bestenfalls 50 Cent zusätzliche gesamtwirtschaftliche Produktion erzeugen. Bei Ausgaben in die öffentliche Infrastruktur liegt der Fiskalmultiplikator bei 2, bei der Bildungsinfrastruktur sogar bei 3. Militärausgaben sind damit ausgesprochen ineffizient.
