Zölle werden in der Regel an zwei entscheidenden Punkten in der Entwicklung einer Volkswirtschaft eingesetzt: entweder in der Anfangsphase der Industrialisierung, wenn Staaten versuchen, junge heimische Marktführer zu fördern, oder in Zeiten der Schwäche, wenn die Eliten eines Landes den drohenden Niedergang aufhalten wollen. Donald Trumps chaotisch geführter Handelskrieg ist ein Beispiel für Letzteres. Inmitten des sich abzeichnenden Niedergangs der US-amerikanischen Hegemonie entsteht eine alternative geoökonomische und geopolitische Ordnung: eine vor allem auf Akkus und Batterien aufbauende ökonomische Globalisierung mit eindeutig chinesischer Prägung. Anders gesagt: In dieser neuen Ordnung wird China die führende Rolle übernehmen, und grüne Technologien werden der wichtigste Motor sein. Am deutlichsten zeigt sich dies in der massiven internationalen Expansion der chinesischen Elektroautoindustrie.
Die Überlegenheit chinesischer Elektrofahrzeuge (EVs) – die bis vor kurzem noch von Leuten wie Elon Musk verlacht wurden – ist mittlerweile unbestreitbar. Darüber hinaus schlägt sich Chinas technologische Vormachtstellung in seiner marktbeherrschenden Position in diversen Bereichen nieder. Das geht so weit, dass China nun nicht nur andere Marktführer im EV-Markt, sondern in der gesamten Automobilindustrie zu überholen droht. Dies hat tiefgreifende Folgen für die internationale Wirtschaft.
Das beste Beispiel für diese internationale Expansion ist das chinesische Vorzeigeunternehmen BYD. Ende 2023 überraschte BYD die Analysten mit seinem weltweiten Umsatzanstieg und hat inzwischen das bislang als unangefochtener Spitzenreiter im Bereich E-Autos geltende Tesla überholt. Während der Aktienwert und der Umsatz von Musks Unternehmen im vergangenen Jahr zurückgingen, eilt BYD von Erfolg zu Erfolg. 2024 verkaufte der chinesische Konzern eine Rekordzahl von 4,3 Millionen Autos, der Umsatz stieg um 41 Prozent. Damit liegt BYD in der breiter gefassten Kategorie der sogenannten Neue-Energie-Fahrzeuge (NEVs) – die sowohl batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) als auch Plug-in-Hybride umfasst – nun deutlich vor Tesla. Ebenso konnte man bei den BEV-Verkäufen praktisch mit Tesla gleichziehen: Tesla verkaufte 1.790.000 derartige Fahrzeuge, BYD 1.764.000. Für BYD ist dies ein Anstieg von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Angesichts der aktuellen Wachstumsraten von sogar 50 Prozent und des noch unerschlossenen Potenzials in der EV-Branche ist davon auszugehen, dass BYD innerhalb des nächsten Jahrzehnts Toyota als weltweit größten Automobilhersteller ablösen wird.
BYD verhält sich dabei auch wie ein Unternehmen, das die globale Vorherrschaft in seiner Branche anstrebt. Bis vor kurzem war der chinesische Automobil- und EV-Sektor weitgehend ein rein nationales Phänomen; der Großteil der Fahrzeuge wurde im Inland verkauft. Inzwischen expandieren BYD und andere chinesische EV-Unternehmen in beispiellosem Umfang und Tempo weltweit. In Indonesien, Thailand, Pakistan, der Türkei, Ungarn und Brasilien sind chinesische EV-Fabriken entstanden, von denen einige mehr als 200.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren können. Sie sollen die steigende Nachfrage nach chinesischen Elektrofahrzeugen befriedigen, die heute nicht nur qualitativ hochwertig sind, sondern auch rund 20 Prozent billiger als ihre westlichen Pendants.
Dass BYD derart im Ausland expandiert, ist vor allem ein Versuch, das Risiko von Zöllen und anderen Handelsbarrieren in einem zunehmend protektionistischen Klima zu mindern: Man hofft, Einfuhrzölle zu umgehen (die die eigenen Waren weniger konkurrenzfähig machen würden), indem vermehrt direkt im Ausland produziert wird. Die Errichtung von Werken in anderen Staaten bleibt jedoch eine heikle Angelegenheit, die nicht nur mit komplexen Kalkulationen des Unternehmens über mögliche Zukunftsaussichten einhergeht, sondern auch mit geopolitischen und diplomatischen Faktoren.
Insgesamt lassen sich anhand der internationalen Expansion eines Unternehmens wie BYD Erkenntnisse über die Strategie Chinas in seinen internationalen Beziehungen gewinnen.
Aus Shenzhen in die Welt
Der offizielle Hauptsitz von BYD befindet sich in der mittlerweile berühmten Stadt Shenzhen im Perlflussdelta – einer Metropolregion, die das neue Palo Alto werden soll. Shenzhen wurde 1979 aus einzelnen Fischerdörfern heraus gegründet und zur ersten Sonderwirtschaftszone Chinas erklärt. Deng Xiaoping machte die Stadt zum Teil seiner »Reform- und Öffnungspolitik« (改革开放, Gaige Kaifang). Sie entwickelte sich schnell zu einem globalen Produktionszentrum für Unterhaltungselektronik; Hersteller wie Foxconn produzierten für diverse internationale Marken wie Apple, Sony und Dell. Zeitgleich gründeten aber auch chinesische Unternehmen – Huawei, Xiaomi, Hisense und Oppo – Produktionsstätten in der Sonderwirtschaftszone, ebenso wie neue Internetunternehmen wie Tencent.
BYD eröffnete im Jahr 2000 seinen ersten großen Produktionsstandort im Bezirk Kuichong in Shenzhen. Damals war das Unternehmen noch kein Automobilhersteller, sondern produzierte Batterien für Unterhaltungselektronikgeräte von Motorola und Nokia. Gegründet wurde es von Wang Chuanfu. Der Entrepreneur und Wissenschaftler mit einem Abschluss in Chemie verfügt heute über ein Vermögen von 23 Milliarden US-Dollar. Die erstaunliche Wandlung BYDs von einem Batteriehersteller zu einem Autobauer wurde zum Teil durch die Übernahme des vormals staatlichen Unternehmens Xian Qinhuan Automobile ermöglicht. Das erste von BYD produzierte Auto war der F3, ein klassisches Kompaktmodell mit Verbrennermotor. Es wurde im Werk Changsha in Hunan hergestellt, wo die Arbeits- und Grundstückskosten niedriger waren als in Shenzhen und wo eine einfachere und kostengünstigere Anbindung an den Norden des Landes möglich war. Shenzhen blieb dennoch das Zentrum der Elektrofahrzeugproduktion, sowohl in Sachen Batterieherstellung als auch die tatsächliche Montage der Autos.
Heute betreibt BYD fünf Werke in Shenzhen, von denen einige um die sogenannte »BYD Road« im Bezirk Pinghsan herum angesiedelt sind. Hier werden jährlich mehr als 500.000 Fahrzeuge der BYD-Modelle Tang, Qin und Dolphin montiert. Außerhalb von Shenzhen und Changsha gibt es weitere große Fabriken in Qinzhou in der Provinz Guangxi (mit einer Produktion von etwa 100.000 Fahrzeugen pro Jahr), in Fuzhou in der Provinz Fujian (150.000), in Shanghai (mindestens 150.000) und in Tianjin (200.000). Zusammen stellen diese Fabriken den größten Teil der fast zwei Millionen Elektrofahrzeuge her, die jährlich in China produziert werden.
Bis Anfang der 2020er Jahre konzentrierte sich die Produktion von BYD-Elektroautos weitgehend auf diesen chinesischen Markt; für das Auslandsgeschäft wurden hauptsächlich Busse und Lkw gefertigt. Letztere sind nach wie vor die Fahrzeuge von BYD, die in den meisten Ländern außerhalb Chinas immer noch am häufigsten zu sehen sind. Noch 2024 wurden 87 Prozent der NEVs von BYD in China verkauft. Der Erfolg von BYD ist nicht nur auf die Größe des chinesischen Marktes zurückzuführen, sondern auch auf die Art und Weise, wie das Unternehmen alle wichtigen Geschäftsbereiche – wie Forschung und Entwicklung, Komponentenfertigung (einschließlich Batterien und Halbleiter), Fahrzeugmontage und Lieferkettenlogistik – strategisch in China konzentriert hat: BYD konnte durch vertikale Integration enorme Skaleneffekte erzielen.
Chinas hohe technologische Diversifizierung und Ausgereiftheit im Inland wurde durch staatlich gelenkte Industriepolitiken wie die Strategie »Made in China 2025« gefördert: Subventionen, Investitionen in Forschung und andere Anreize zielen darauf ab, die technologische Entwicklung des Landes zu beschleunigen. Chinas dynamischer, innovationshungriger Markt (auf dem mittlerweile 50 Prozent der Neuwagenkäufe auf Elektrofahrzeuge entfallen) dient als perfektes Sprungbrett für Unternehmen wie BYD, Xiaomi und Geely, die nun globale Dominanz anstreben. Der Auslandsabsatz von NEVs stieg 2023 um beeindruckende 77 Prozent. Die Begeisterung wurde 2024 jedoch wieder gedämpft, als die Wachstumsrate lediglich 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr betrug. Es besteht durchaus das Risiko, dass die Absätze im aktuellen Jahr 2025 stagnieren. Ohne einen substanziellen Anteil am Weltmarkt laufen diese großen chinesischen Unternehmen Gefahr, künftig nicht mehr rentabel zu sein.
Elektro-Wettrennen in Südostasien
Neben der »Neuen Seidenstraße« beziehungsweise Belt and Road Initiative in Zentralasien (und Europa), arbeitet China auch an einer von Regierungsvertretern so bezeichneten »maritimen Seidenstraße«. Diese soll chinesische Häfen wie Shanghai, Fuzhou, Guangzhou und Shenzhen besser mit Häfen und anderer logistischer Infrastruktur auf dem indischen Subkontinent verknüpfen. Von dort aus ist der Zugang zum Nahen Osten, zum Mittelmeerraum und zu europäischen Häfen wie Piräus und Triest, Rotterdam und Hamburg gewährleistet.
Dieser Korridor gilt seit langem als wichtiger geopolitischer Machtfaktor. Aus chinesischer Sicht ist er eine wichtige Handelsroute, die angesichts des Ukrainekrieges noch bedeutender geworden ist, da kriegsbedingt viele Handelswege auf dem Land unterbrochen sind und es zu Verzögerungen oder Kürzungen bei mehreren Belt-and-Road-Projekten kommt. Die maritime Seidenstraße verläuft von der Straße von Malakka bis zum westlichen Mittelmeer, erstreckt sich geografisch von Indonesien und Thailand über Indien und Pakistan bis in den Nahen Osten, Nordafrika und die Europäische Union. Sie umfasst damit ein Gebiet, in dem fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt und das in Zukunft auch einen bedeutenden Teil des EV-Marktes ausmachen wird. Es überrascht daher nicht, dass gerade entlang dieses Korridors (an dem auch einige der wichtigsten Häfen liegen, die von chinesischen Unternehmen wie COSCO kontrolliert werden) mehrere chinesische EV-Produktionsstätten gebaut werden.
Südlich von China baut BYD seine Präsenz vor allem in Kambodscha aus, wo man Konkurrenten wie Ford, Hyundai und Toyota auf den Fersen ist, sowie in Vietnam, wo im Industriepark Phu Ha gerade ein 250 Millionen Dollar teures Werk errichtet wird. Letzteres soll jährlich 150.000 Fahrzeuge produzieren. Möglich ist auch der Bau einer zweiten Anlage, um noch mehr von den niedrigen Lohnkosten im Land zu profitieren. Im benachbarten Thailand, dem zweitgrößten Automobilmarkt Südostasiens, investiert BYD 500 Millionen US-Dollar in eine Fabrik im Eastern Economic Corridor von Rayong. Dieses soll eine Produktionskapazität von 150.000 Fahrzeugen pro Jahr haben. Auf der anderen Seite der Javasee hat BYD eine Milliarde US-Dollar in ein neues Werk im indonesischen Subang investiert. Die Produktion dort soll 2026 anlaufen. Das Produktionsziel liegt bei 150.000 Fahrzeugen pro Jahr, die vor allem für den riesigen Binnenmarkt Indonesiens mit seinen 285 Millionen Verbrauchern und einem erwarteten Absatz von jährlich rund zwei Millionen Elektrofahrzeugen ab 2030 bestimmt sind. BYD und andere chinesische Autobauer investieren nicht nur in Fertigungsstätten, sondern auch in die Zulieferketten und Logistik. Gleichzeitig fördert die chinesische Regierung mit Investitionen in die regionale Infrastruktur die wirtschaftliche Zusammenarbeit und betreibt Kulturdiplomatie. Diese Aktivitäten zeigen, dass sich die Führung in Peking der strategischen Bedeutung der Region an »Chinas südlicher Peripherie« bewusst ist: Sie wünscht sich Südostasien als ein zuverlässiges Ziel für »Friendshoring« und langfristige Partnerschaften.
In Indien sieht es derweil etwas anders aus. Das Land importiert bisher in großem Stil chinesische Produkte, beabsichtigt aber, die eigenen technologischen Kompetenzen auszubauen, unter anderem in der EV-Industrie. In diesem Zusammenhang hat Indiens Regierung bereits begonnen, chinesische Investitionen im Land einzuschränken. So betreibt BYD derzeit nur ein einziges Werk in ganz Indien. Am Standort in Tamil Nadu werden knapp 10.000 Fahrzeuge pro Jahr hergestellt.
Als Reaktion auf Indiens Abneigung gegen chinesischen Einfluss haben BYD und andere chinesische Konzerne das benachbarte Pakistan ins Auge gefasst. Dort wurden chinesischen EV-Investitionen begeistert Tür und Tor geöffnet; man will sich zu einem globalen EV-Exporthub entwickeln. BYD plant nun in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Unternehmen Mega Motors einen Standort in Karatschi. Das Werk, das sich bereits im Bau befindet und 2026 eröffnet werden soll, wird zunächst 50.000 Autos pro Jahr für den pakistanischen Markt produzieren. Der EV-Anteil am dortigen Autoabsatz soll 2030 bei 50 Prozent liegen. Dementsprechend könnte die Kapazität des Werks schon bald erweitert werden. Aktuell verkauft BYD drei Modelle in Pakistan – den Atto 3, den Seal und den Sealion. Darüber hinaus wurde eine Partnerschaft mit HubCo, dem größten privaten Energieversorger Pakistans, zum Aufbau eines Schnellladestation-Netzwerks geschlossen. All dies verdeutlicht die langfristige Infrastrukturvision von BYD, die sich deutlich von der Haltung seiner westlichen Konkurrenten (sowohl auf privatwirtschaftlicher als auch auf staatlicher Ebene) unterscheidet. Letztere neigen – zu ihrem Nachteil – dazu, sich auf viel kürzere Zeitrahmen zu konzentrieren.
Industrie- und Charmeoffensive in Europa
Chinesische Elektroautohersteller haben also die expandierenden Märkte Süd- und Südostasiens im Visier, aber die reicheren Märkte Europas sind weiterhin das Hauptziel. Nach China bilden die EU und das Vereinigte Königreich gemeinsam den drittgrößten Markt für Automobile sowie den zweitgrößten für EVs: 2024 wurden 1,5 Millionen Elektrofahrzeuge zugelassen – ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr (was zum Teil auf das Auslaufen der Subventionen in Deutschland zurückzuführen ist). China möchte seine Verkäufe in Europa weiter steigern, aber auch engere Beziehungen zu dieser Region aufbauen, die man in Peking als potenziellen Partner für die Entwicklung einer neuen, multipolaren Weltordnung betrachtet.
Erschwert wird dies jedoch durch EU-Zölle auf Elektrofahrzeuge aus China. Diese hatte die Union Ende 2023 erhöht. BYD wurde dabei – zusätzlich zu den bereits geltenden Standardzöllen von zehn Prozent – mit Abgaben von 17 Prozent belegt; für andere chinesische Unternehmen gelten noch höhere Zölle: 18,8 Prozent für Geely und 35 Prozent für SAIC.
Diese Zölle sind eine Reaktion auf die staatlichen Beihilfen und Subventionen Chinas, die in Brüssel als unfaire Wettbewerbspraxis angesehen werden. Die protektionistischen Maßnahmen der EU könnten möglicherweise die unbeabsichtigte Folge haben, dass sie große Anreize für chinesische Elektrofahrzeughersteller darstellen, Werke in Europa zu eröffnen, um die Zölle zu umgehen. Eine gängige Taktik, die von einigen Automobilherstellern bereits angewendet wird, ist die Verschiffung von sogenannten »Knock-Down-Kits« in ein Drittland, wo die Teile dann nur noch zusammengebaut und vor Ort verkauft werden. Knock-Down-Kits werden bislang als Bauteile eingestuft und unterliegen daher niedrigeren Zöllen als fertigproduzierte Autos. Auch lieferkettentechnisch ist dieses System effizienter, da sich ein zerlegtes Fahrzeug leichter transportieren lässt. Die europäischen Behörden könnten dies zukünftig allerdings als Umgehungstaktik betrachten und verlangen, dass ein Auto einen höheren Mehrwertanteil aus heimischer Produktion aufweisen muss, um wirklich als »lokal produziert« zu gelten. Dementsprechend haben BYD und andere chinesische EV-Unternehmen Strategien entwickelt, um langfristig in Europa aktiv zu sein und zu investieren. Sie bauen Forschungs- und Entwicklungszentren auf dem Kontinent und gehen langfristige Partnerschaften mit Zulieferern ein. Darüber hinaus spielt BYD auch die Soft-Power-Karte, sponsert Veranstaltungen und fährt Kommunikationskampagnen, um sich bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern beliebter zu machen.
Bislang investiert BYD in Europa vor allem in Ungarn – ein Land, das sowohl für seine leistungsstarke Automobilzulieferkette als auch für die engen Beziehungen zu China bekannt ist. Ganze 44 Prozent aller chinesischen Direktinvestitionen in der Europäischen Union fließen nach Ungarn. BYD schließt derzeit den Bau eines großen Werks in Szeged nahe der Grenze zu Serbien und Rumänien ab. Dieses soll Mitte dieses Jahres die Produktion aufnehmen und jährlich zwischen 150.000 und 200.000 Autos vor Ort herstellen (sprich: nicht nur zusammenbauen). Um die lokale Wertschöpfungskette und die Lieferung von Komponenten sicherzustellen, ist BYD eine Partnerschaft mit dem französischen Unternehmen Forvia eingegangen, dem siebtgrößten Autozulieferer der Welt. Allerdings ist das Werk in Szeged derzeit Gegenstand einer EU-Untersuchung wegen unzulässiger staatlicher Beihilfen. Diese könnte dazu führen, dass das Unternehmen seine Kapazitäten reduzieren oder einen Teil der örtlichen Assets veräußern muss.
Derartige Untersuchungen offenbaren zwar eine gewisse Anfälligkeit, scheinen die ambitionierten Expansionspläne von BYD in Europa aber nicht sonderlich zu beeinträchtigen. Der Konzern hat bereits mit dem Bau einer weiteren Fabrik begonnen, um die Produktion zu steigern: Mitte 2026 soll im türkischen Manisa in der Nähe von Izmir ein neues Werk mit einer Jahreskapazität von 150.000 Fahrzeugen eröffnet werden. Die Lage der Türkei am Rande Europas spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie ist zwar nicht Teil der EU und des Binnenmarktes, wohl aber der Europäischen Zollunion. Somit würden auf in der Türkei montierte Autos keine hohen Zölle anfallen. Die »strategische Zusammenarbeit« zwischen Ankara und Peking (am deutlichsten in der jüngsten Beteiligung der Türkei an der Belt and Road Initiative) macht die Türkei zu einer offenbar naheliegenden Präferenz für die weitere Expansion von BYD in Europa.
Ein drittes europäisches Werk ist ebenfalls im Gespräch. Als möglicher Standort wurde eine Zeit lang Italien gehandelt, wo die Regierung neue Hersteller anlocken will, um den Produktionsrückgang bei der Fiat-Muttergesellschaft Stellantis auszugleichen. Erste Gespräche mit BYD verliefen jedoch ergebnislos. Allerdings gibt es Berichte, Chery sei an Investitionen in Italien interessiert.
Jüngsten Meldungen zufolge könnte Deutschland Standort eines dritten europäischen BYD-Werks werden. Von der Schließung bedrohte Anlagen von Volkswagen und anderen deutschen Herstellern dürften für chinesische Unternehmen die attraktivsten Investitionsstandorte sein: Zugang zur produktiven Infrastruktur Deutschlands sowie die Lage im Herzen des europäischen Marktes wären ein Segen für jedes expansionswillige chinesische Unternehmen.
Für BYD geht es nicht darum, lediglich eine Handvoll Fabriken in Europa zu bauen. Vielmehr will man sich als freundlich gesinnter Partner Europas gerieren. Führungskräfte von BYD haben oft bekräftigt, das Unternehmen wolle »europäisch werden«. In der Praxis bedeutet dies große Investitionen in die Produktion (nochmals: nicht nur in den Zusammenbau) von Fahrzeugen, die Einrichtung von Forschungs- und Entwicklungszentren (beispielsweise im Vereinigten Königreich) sowie den Aufbau robuster lokaler Lieferketten auf dem ganzen Kontinent. Das Treffen zwischen Vertretern von BYD und 300 italienischen Automobilzulieferern Anfang dieses Jahres in Turin ist ein Beleg dafür, wie BYD mit lokalen Wirtschaftsakteuren zusammenarbeitet, um sich als zuverlässiger Partner mit Interesse an langfristigen Investitionen zu präsentieren.
Und noch viel weiter: Afrika und Lateinamerika
Afrika und Lateinamerika mögen zwar nicht die Kernpriorität der BYD-Expansion sein, aber sie bleiben dennoch Wachstumsbereiche, die es zu erschließen gilt. Chinesische Investitionen in Asien und Lateinamerika, insbesondere in Häfen, Logistikinfrastruktur und Rohstoffindustrie, nehmen weiterhin zu. Im EV-Bereich haben chinesische Firmen die Möglichkeit, auf die bereits bestehenden wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen aufzubauen und eine starke Präsenz in Industrie und Logistik zu etablieren. Dies könnte auch wichtige geopolitische Auswirkungen haben: Afrikanische und lateinamerikanische Staaten könnten stärker in den Einflussbereich Pekings hinein- und damit aus dem Einflussbereich Washingtons herausrücken.
Die Planung befindet sich allerdings noch in einer frühen Phase. Bislang würde die einzige große Produktionsstätte, die BYD derzeit in Erwägung zieht, in Südafrika liegen. Die entsprechenden Verhandlungen laufen aber noch. BYD hat auch erste vorsichtige Sondierungsgespräche über den Bau von Fabriken in Ägypten und Marokko geführt. Hindernisse für die Einführung und den Ausbau eines Elektrofahrzeugmarktes in Afrika sind die begrenzte Lade- und Wartungsinfrastruktur sowie mangelhafte unterstützende rechtliche Rahmenbedingungen und Anreize/Subventionen seitens der jeweiligen Regierungen. Doch dies ändert sich langsam: Die Mittelschicht in Ländern wie Ruanda und Nigeria hat Gefallen an Elektrofahrzeugen gefunden; und Äthiopien hat die Einfuhr von Verbrennern komplett verboten. In den kommenden zehn Jahren dürften viele neue Autofabriken eröffnet werden.
Auf dem amerikanischen Kontinent sind die Pläne von BYD bereits weiter fortgeschritten. Während BYD und andere chinesische EV-Hersteller beschlossen haben, den US-amerikanischen und kanadischen Markt zu meiden, wo schon Biden und Trudeau Zölle in Höhe von 100 Prozent eingeführt hatten, gewinnen sie hingegen in Mittel- und Südafrika an Boden. In Brasilien hat BYD eine ehemalige Ford-Anlage in Camaçari erworben und eine Milliarde Dollar investiert, um es in eine hochmoderne EV-Fabrik umzuwandeln. Der Ausbau ist aktuell jedoch eingestellt, nachdem eine Inspektion ergeben hatte, dass 163 chinesische Arbeiter vor Ort unter sklavenähnlichen Bedingungen leben mussten. Auch Great Wall Motors und Chery bauen Fabriken in Brasilien, das zu einem Hub für die Produktion und den Vertrieb von Autos in ganz Südamerika geworden ist. Darüber hinaus führt BYD derzeit Gespräche über eine neue Produktionsstätte in Mexiko. Diese Initiative hat, wenig überraschend, bereits für Stirnrunzeln in den US-amerikanischen Eliten gesorgt, wo man fürchtet, Mexiko könne der technologischen Überlegenheit Chinas »zum Opfer fallen«.
Mit Werken in Mexiko könnten chinesische Hersteller, die in die USA verkaufen wollen, auch die Strafzölle auf chinesische Waren umgehen und von dem niedrigeren Zollsatz von 25 Prozent für in Mexiko hergestellte Autos profitieren. Das würde ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem US-Markt wieder erhöhen. Andererseits besteht das Risiko, dass eine Fabrik so nahe an der US-Grenze zu einem Technologieabfluss in Richtung von Chinas größtem geostrategischen Rivalen führt. Dieses Risiko wird offenbar als so gravierend eingeschätzt, dass chinesische Elektroautohersteller Berichten zufolge erwägen, ihre Investitionspläne in Lateinamerika aufzuschieben.
Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, dass der Automobilsektor sowohl in Mittelamerika als auch anderswo ein wichtiges Schlachtfeld im geopolitischen Machtkampf zwischen den globalen Großmächten ist.
Akku-Globalisierung auf chinesische Art
BYD und andere chinesische Unternehmen vollführen gerade eine der größten internationalen Expansionswellen der Automobilgeschichte. Sollte China die USA als treibende Kraft der Globalisierung ablösen, ist davon auszugehen, dass dies entsprechend den Vorstellungen der chinesischen Regierung geschehen wird. Zum einen wird wahrscheinlich mehr Wert auf Fragen der Ordnung und langfristigen Stabilität gelegt werden, als es in den vergangenen Jahren in Washington der Fall war. Die wichtigsten Produktionsstandorte von BYD befinden sich in Ländern wie Pakistan, Indonesien, der Türkei und Brasilien, die alle an der Belt and Road Initiative oder der BRICS-Gruppe beteiligt sind. Unter chinesischer Ägide geht wirtschaftliche Kooperation Hand in Hand mit zwischenstaatlichen Partnerschaften, selbst wenn große ideologische Unterschiede bestehen.
Diese Variante der Globalisierung ist geprägt von einer Rückkehr zur »vertikalen Integration« gegenüber dem System der »flexiblen Produktion«, das das Ende des 20. Jahrhunderts dominierte. Größerer Wert wird auf langfristige Stabilität und die Schaffung von Konsens in den beteiligten Ländern gelegt. Die »Lokalisierungsansätze« von Konzernen wie BYD zielen darauf ab, diese chinesischen Unternehmen als wohlwollende Akteure zu präsentieren, die sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort sowie für die ökologische Transformation einsetzen.
Die Realität ist natürlich komplexer. Berichte über die Arbeitsbedingungen in der Fabrik im brasilianischen Camaçari verdeutlichen die ausbeuterischen Arbeitspraktiken, die unter anderem darauf abzielen, den Einfluss von Gewerkschaften zu umgehen. Chinesische CEOs und Politiker zeigen sich durch die beeindruckende Tech-Führungsrolle ihres Landes beflügelt und selbstbewusst, bleiben aber besorgt angesichts des sich verschärfenden globalen Handelskriegs, protektionistischer Maßnahmen und der Gefahr eines Technologietransfers, nun in Richtung Indien und Mexiko.
Für Länder, die chinesische Investitionen anziehen, bieten diese Sorgen hingegen eine wichtige Erkenntnis: Sie könnten fordern, dass chinesische Unternehmen auf ihren Märkten Partnerschaften mit lokalen Unternehmen eingehen. Das wäre das beste Mittel, um ausländische Investitionen in einen Motor für mehr Autonomie statt mehr Abhängigkeit zu verwandeln.