Dass sich in der Union die Unternehmerinnen und Unternehmer tummeln, ist nichts Neues. Doch gleich drei Top-Manager aus der Wirtschaft sollen im neuen Kabinett von Friedrich Merz wichtige Ministerien übernehmen. Wenn CEOs zu Politikern werden, schadet das aber nicht nur der Demokratie und der Glaubwürdigkeit der neuen Bundesregierung. Auch die Interessen der Bevölkerung werden so weniger berücksichtigt: Es droht eine Politik von Reichen – für Reiche.
Die 51 Jahre alte Katherina Reiche, Chefin der innogy-Tochter Westenergie, soll das Wirtschaftsministerium führen. Bereits im Jahr 2015 gab es um ihre privatwirtschaftlichen Tätigkeiten eine Debatte um Karenzzeiten bei Politikerinnen und Politikern. Denn 2015 wechselte die CDU-Abgeordnete nach 17 Jahren im Bundestag als Hauptgeschäftsführerin zum Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) – einem Lobbyverband, zu dem viele Stadtwerke in Deutschland gehören. Erst vor vier Tagen wurde bekannt, dass sie neue Aufsichtsrätin in einem schwedischen Energieunternehmen werden soll.
Der zweite Manager ist Karsten Wildberger – seit 2021 CEO der Mediamarkt-Saturn-Gruppe und ehemaliges Vorstandsmitglied von E.ON. Der 56-Jährige soll Digitalminister werden. Wildberger sitzt wie Reiche nicht einmal im Bundestag – auch er kommt direkt aus der Wirtschaft ins Ministerium. Immerhin hat er nach Merz' Ankündigung am Montag sofort beantragt, von seinem aktuellen Posten zurückzutreten. Wie n-tv berichtet, soll Merz Insidern zufolge mehrere Manager befragt haben, ob sie den Job übernehmen wollen.
Und auch ein dritter Minister kommt aus der Wirtschaft und ist ebenfalls nicht in den Bundestag gewählt worden, dafür aber langjähriger und enger Bekannter von Merz. Der Publizist und Cicero-Gründer Wolfram Weimer soll Kulturstaatsminister werden. Von der Geschäftsführung seiner Verlagsgruppe Weimer Media will er nun zurücktreten, seine Ehefrau soll die Geschäfte allein weiterführen. Weimer sorgt sich in seine Publikationen schon mal um die »Fortdauer des eigenen Bluts« oder einer angeblichen »Huldigung von Kanak-Deutsch«. Seine eklatanten Bildungslücken, die etwa die FAZ aufzeigte, lassen ihn nicht als ideale Besetzung erscheinen, um es milde auszudrücken. Doch wo liegt das Problem, wenn Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Privatwirtschaft Ministerien führen sollen?
Manager sind keine Politiker
Privatwirtschaftliche Management-Erfahrung ist für die Leitung eines Ministeriums nicht besonders hilfreich, weil Politik und Wirtschaft jeweils eigenen Logiken folgen. Wie Marianna Mazzucato kürzlich bei Surplus schrieb, dienen Unternehmen und Regierungen unterschiedlichen Zwecken, die entsprechend unterschiedliche Anforderungen an die Personalien stellen. Wer ein Unternehmen führt, muss dessen Gewinn steigern – wer eine Regierung führt, muss der Bevölkerung bestimmte Güter bereitstellen und gesamtgesellschaftliche Probleme lösen. Diese zwei Logiken passen nicht zueinander. In der Politik geht es darum, verschiedene Interessen zusammenzuführen und verschiedene Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen, also für das Gemeinwohl zu sorgen. Dieses ergibt sich nicht (nur) daraus, ob die Finanzen am Ende aufgehen, sondern vor allem daraus, ob die Probleme in der Bevölkerung bearbeitet worden sind. Ein Problem wie den Klimawandel oder den Wohnraummangel anzupacken, hat einen Wert, der sich nicht über Gewinne messen lässt.
Die personellen Verbindungen in die Wirtschaft sind jedoch bereits an sich problematisch, weil sie immer das Potenzial haben, auch genutzt zu werden. Das ist der Nährboden für Korruption. Lobbycontrol macht darauf aufmerksam, dass Ministerinnen und Minister, sofern sie nicht im Bundestag sitzen, gesetzlich nicht dazu verpflichtet sind, ihre Aktienbeteiligungen offenzulegen. Für CEOs wie Katherina Reiche oder Karsten Wildberger wäre es nicht unüblich, größere Anteile an dem Unternehmen zu besitzen. Transparent wäre es, wenn die designierten Ministerinnen und Minister freiwillig offenlegen würden, ob und wie viele Anteile sie besitzen. Auch ist infrage zu stellen, wie objektiv jemand Politik machen kann, der im selben Bereich ein Ministerium übernimmt, wie zuvor in einem Unternehmen. Deshalb sollte gesetzlich strenger reguliert werden, wie beispielsweise Aufträge vergeben werden oder wer thematisch womit befasst ist und ob dabei Interessenkonflikte entstehen könnten.
Fehlende Repräsentation sorgt für Ungleichheit und Frust
Der Bundestag als ganzer vertritt schon seit Jahrzehnten eher die Interessen der Besserverdienenden. In einer Studie hat Lea Elsässer Policies im deutschen Bundestag seit den 1980er Jahren untersucht und herausgefunden, dass Entscheidungen zunehmend zugunsten höherer Einkommensgruppen ausgefallen sind. Es gab vor allem dann politische Änderungen, wenn sie von Selbstständigen gewollt sind. Hingegen gab es in dem gesamten Zeitraum »keine einzige größere Reform, die nur von den unteren, aber nicht von den oberen sozialen Klassen gewollt war«. Wenn nur die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen von der Politik gesehen und bearbeitet werden, ist das nicht nur formal ein Problem, da der Bundestag die Interessen aller vertreten sollte. Das daraus resultierende, noch größere Problem ist, dass sich die Menschen, wie auch Elsässer in ihrer Studie feststellt, von der Politik ab-, oder extremistischen Parteien zuwenden.
Eine Studie des Ipsos-Instituts berechnet einen »System is broken«-Index für Deutschland, der im Jahr 2024 bei 48 Prozent (2016: 44 Prozent) lag. Der Index drückt aus, ob Menschen denken, das politische System funktioniere für sie nicht. Sie stimmten in der Umfrage unter anderem den Aussagen zu, die Wirtschaft sei nur auf reiche und machtvolle Menschen ausgerichtet, die traditionellen Parteien würden sich nicht um Menschen wie sie kümmern oder sie verstehen, und daher würde es einen starken Führer brauchen. Auch in der Leipziger Autoritarismus-Studie gaben Befragte am häufigsten an, dass die Demokratie aufgrund von Politik(er)verdrossenheit (17,6 Prozent) oder fehlender Partizipation und Repräsentanz (7,8 Prozent) schlechter funktioniert.
In dieser Situation Ministerien mit Managern zu besetzen, ist gefährlich, weil so faktisch demokratische Prinzipien unterwandert werden. Die Probleme, mit denen Menschen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen tagtäglich zu kämpfen haben, werden nicht bearbeitet. Ein Blick in die USA reicht, um zu verstehen, dass Unternehmer in hohen politischen Ämtern nicht nur falsch einschätzen, dass politische Bürokratien anders als Unternehmen funktionieren (Musk), sondern auch ihr persönliches Interesse mit dem des Amtes verschmilzt (Trump). Während die neuen Ministerinnen und Minister von verschiedenen Wirtschaftsverbänden für ihre Expertise gelobt werden, heißt das noch nicht, dass sie gute, am Gemeinwohl orientierte Politikerinnen und Politiker sind.