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Das Wirtschaftsmagazin

Chinas Energiewende zeigt die Grenzen des Dekarbonisierungsstaates

In China wird ein positives Beispiel für die staatlich gesteuerte Energiewende gesehen. Doch auch dieses Modell stößt an seine Grenzen.

6 Minuten Lesedauer

In China wird eine Fotovoltaik-Anlage dort gebaut, wo einst Kohle abgebaut wurde. Credit: IMAGO/NurPhoto

Die Klimakrise eskaliert, eine rasche Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Quellen ist dringender denn je. Doch diese Umstellung ist gesellschaftlich hart umkämpft. In den meisten Ländern des Westens läuft sie bestenfalls schleppend voran, und einhergehend mit der Radikalisierung des Konservatismus und dem Aufstieg der radikalen Rechten vollzieht sich vielerorts ein fossiler Backlash. Zugleich richtet sich der internationale Blick zunehmend auf China, das beim Ausbau der Erneuerbaren mit großem Abstand vorangeht und vielen als mögliches Vorbild gilt. Hinter diesen globalen Dynamiken steht eine grundlegende politökonomische Frage: Wer soll die Energiewende steuern – der Staat oder der private Sektor?

Wie viel Staat braucht die Energiewende? 

Genau an dieser Steuerungsfrage entzündet sich eine prominente progressive Kritik an marktbasierten Instrumenten. Denn für viele progressive Kommentator:innen ist klar: Die Kontrolle über die Energiewende könne nicht in die Hände privater Konzerne gegeben werden, vielmehr müsse der Staat den Erneuerbaren-Ausbau aktiv steuern. So kritisierte etwa Brett Christophers in einem Surplus-Interview mit Maxine Fowé die westlichen Staaten dafür, ihre Energiewende den profitgetriebenen Steuerungsmechanismen privater Konzerne zu überlassen und damit letztlich den Ausbau der Erneuerbaren zu bremsen[1]. Christophers plädiert dabei für eine stärkere Rolle des Staates, der – zumindest in der Theorie – nicht nur direkt in Erneuerbare investieren kann, ohne sich dabei vollends Profitzwängen zu unterwerfen. Er kann auch mit industrie- und preispolitischen Instrumenten die Rentabilität privater Investitionen in Erneuerbare steigern und so den Ausbau beschleunigen.

Oft wird in diesem Zusammenhang auf China verwiesen, denn das (partei-)staatskapitalistische Modell ist unangefochtener Weltmarktführer bei Solar- und Windenergie. Allein im ersten Halbjahr 2025 installierte China 260 GW neue Kapazität. Zum Vergleich: Die gesamte Kapazität der USA zur Solar- und Windenergieerzeugung lag Ende 2024 bei 330 GW, und die der EU bei 535 GW. China könnte bis Ende 2025 also innerhalb von nur einem Jahr mehr Solar- und Windkapazitäten zubauen, als die USA oder auch die EU bislang insgesamt installiert haben.

Ist China also ein Musterbeispiel für die Leistungsfähigkeit des »Dekarbonisierungsstaates«? Eine solche Sichtweise greift zu kurz. Forderungen nach einer stärkeren Rolle des Staates sind nicht grundsätzlich abzulehnen, bleiben aber zahnlos, wenn sie einen zentralen Aspekt im Verhältnis zwischen Staat und Ökonomie ausblenden: die kapitalistische Verfasstheit des Staates und seine strukturelle Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum und dem damit verbundenen steigenden Energie- und Ressourcenbedarf. Wie nicht zuletzt das Fallbeispiel Chinas zeigt, steht dieses Verhältnis in fundamentalem Widerspruch zu einer substanziellen Dekarbonisierung der Ökonomie. Denn die chinesische »Energiewende« offenbart nicht nur eindrucksvoll die produktiven Potenziale, sondern auch die strukturellen Grenzen des kapitalistischen Dekarbonisierungsstaates.

Wie der Parteistaatskapitalismus den Solar- und Windboom möglich machte

Chinas Dominanz bei Solar- und Windenergie wirft eine zentrale Frage auf: Wie gelang China ein derart schneller Ausbau der Erneuerbaren, während Europa und die USA weitgehend scheitern? Der Erfolg liegt in den produktiven Potenzialen des parteistaatskapitalistischen Modells begründet. Zwar sind die führenden Produzenten von Solarmodulen und Windturbinen wie LONGi, JinkoSolar oder Goldwind mehrheitlich privat, doch die KPCh ist mit sogenannten »Parteizellen« in den Konzernzentralen verankert und kontrolliert so zentrale Investitionsentscheidungen. Noch entscheidender: Die größten Stromerzeuger – die »Big Five« (Huaneng, Huadian, China Energy, State Power Investment, Datang) – sind allesamt in staatlichem Eigentum und haben mit der »Kommission des Staatsrats zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen« sogar denselben Shareholder. Diese zentralstaatliche Kontrolle über die größten Stromerzeuger war elementar, um koordinierte Großinvestitionen in den Sektor der erneuerbaren Energien zu lenken.

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Philipp Köncke

Philipp Köncke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Seine Forschungsinteressen sind die Politische Ökonomie der Globalisierung, vergleichende Kapitalismusforschung, Entwicklungsökonomik und Arbeitssoziologie.

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